Seite - 341 - in Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Bild der Seite - 341 -
Text der Seite - 341 -
341Verfolgung,
Vertreibung
Auch das kommerzielle Umfeld ändert sich. Im Be-
reich der Mode, in dem zahlreiche Fotografinnen tä-
tig sind, kommen in den 1930er Jahren immer mehr
Aufnahmen von internationalen Fotoagenturen zum
Einsatz. Auch Schauspielerinnenporträts werden nun
häufig von den großen Filmfirmen geliefert, die das
mediale Image ihrer Stars sorgsam steuern und zu
verhindern wissen, dass sich lokale Fotografen an der
Vermarktung der Bilder beteiligen. Es wird also für
die Fotografinnen zunehmend schwieriger, Bilder an
die Presse zu verkaufen.
Während das Ateliergeschäft nach den politischen
Umbrüchen 1933/34 ohne allzu große Erschütterun-
gen weiterbetrieben wird, ist die Präsenz zahlreicher
Fotografinnen in den illustrierten Zeitungen in den
1930er Jahren deutlich rückläufig. Aber es gibt auch
Ausnahmen. Dora Kallmus (Atelier d’Ora) und Trude
Fleischmann beispielsweise verstehen es geschickt,
die Absatzmöglichkeiten in der Presse relativ stabil
zu halten. Madame d’Ora ist in den 1920er Jahren
die österreichische Fotografin, von der bei Weitem am
meisten Bilder in der Presse erscheinen (Abb.
12). In
den 1930er Jahren ist Trude Fleischmann mindestens
ebenso stark in den Zeitungen vertreten.
Auf dem Höhepunkt ihrer Bekanntheit entschließt
sich die Fleischmann Ende der 1920er Jahre, die Ver-
marktung ihrer Bilder in professionelle Hände zu ge-
ben, und überträgt den Vertrieb der bekannten Wie-
ner Fotoagentur „Wiener Photo-Kurier“ sowie deren
Nachfolgefirma „Schostal“, die in den 1930er Jahren
zahlreiche international bekannte und etablierte Fo-
tografinnen und Fotografen unter Vertrag hat. Zwar
bricht ihr, wie allen jüdischen Fotografen, 1933 der
deutsche Markt weg. Aber im Laufe der 1930er Jahre
schafft sie Ersatz in Österreich. Sie ergänzt ihr tra-
ditionelles Repertoire – Porträt, Tanz und Akt – und
liefert nun – teilweise recht gefällige und konservati-
ve – Landschafts-, Reise- und Alltagsbilder zu unter-
schiedlichsten Themen.19
Verfolgung, Vertreibung
Am 20. Februar 1938 bringt Der Sonntag, die
wöchentlich erscheinende illustrierte Wochenend-
beilage der Tageszeitung Der Wiener Tag, ein völlig unbeschwertes Titelmotiv: die stark angeschnittene,
aus niedrigem Blickwinkel fotografierte Kühlerhaube
einer Luxuslimousine (Abb.
13). Der Titel dazu lautet:
„Autos von denen man träumt. Bilder von einer mo-
dernen Autoausstellung.“20 Weitere Aufnahmen im
Innenteil berichten über dieselbe Autoausstellung.
Sie wurden möglicherweise in Amsterdam aufgenom-
men, denn Marie Oestreicher, die junge Fotografin,
von der die Bilder stammen, lebt seit 1937 dort.21
Oestreicher ist 1915 in Karlsbad geboren und in
Wien aufgewachsen. Nach ihrer Ausbildung an der
Wiener Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt (ab
1932) arbeitet sie als Assistentin im Wiener Atelier
Willinger. Nebenbei fotografiert sie auf eigene Faust.
Sie dokumentiert den Wiener Alltag und macht
Aufnahmen an Wiener Kleinbühnen. Gelegentlich
erscheinen ihre Bilder in der Presse. Als die Arbeits-
situation in Wien prekärer wird und die politische
Lage in Österreich sich immer mehr zuspitzt, verlässt
sie das Land und geht in die Niederlande. Dort baut
sie, zusammen mit ihrer Schwester Lisbeth, einer Abb.
12 Harald Kreutzberg
und
Yvonne Georgi
in einer
Tanzszene. Die Dame, Heft
2,
1928, S.
32. Foto: d’Ora.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang