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361Kritiker
der Avantgarde
modernen Photographie“ lustig (Abb.
16). Zu sehen
ist zweimal haargenau dieselbe Szene, einmal auf-
genommen aus der „Draufsicht“, einmal aus der
„Druntersicht“. Die moderne Fotografie, so wird hier
augenzwinkernd argumentiert, trage nicht viel zur
Darstellung der Wirklichkeit bei, sondern produziere
lediglich billige Effekte. Die Zeichnung thematisiert
einen Konflikt innerhalb der Fotografie, der zu die-
sem Zeitpunkt schon weitgehend entschieden ist.
Die Gruppe der modernen, der Avantgarde gegen-
über offenen Fotografen bildet um 1930 ohnehin nur
eine kleine Minderheit innerhalb der österreichischen
Fotografie. Und sie sind in der Regel keine radikalen
Vertreter der Avantgarde. Das in der Karikatur bloß-
gestellte Markenzeichen, die Vogelperspektive bzw.
Draufsicht, wird in der modernen österreichischen
Fotografie sehr zurückhaltend eingesetzt (Abb.
17).
Der weitaus größte Teil der österreichischen Foto-
grafen hält in diesen Jahren gebührenden Abstand
zur Avantgardebewegung. Sie bleiben der Tradition
treu und öffnen sich nur vorsichtig den modernen in-
ternationalen Tendenzen. Dies betrifft die herkömm-
lich arbeitenden Berufsfotografen nicht weniger als
die Amateure, von denen der Großteil an der über-
kommenen Formsprache festhält. Ihr Sprachrohr sind
die diversen Fachzeitschriften und Jahrbücher, deren
Redaktionen in der Zwischenkriegszeit fest in kon-
servativer Hand sind. Aus dieser Ecke ist besonders
heftige Kritik gegenüber den neuen Strömungen der
Fotografie zu vernehmen.
Einer der Wortführer des publizistischen Kreuzzu-
ges gegen die Avantgardefotografie ist der Grazer Ma-
ximilian Ritter von Karnitschnigg. Der 1872 geborene
Fotograf muss zeitlebens nie von der Lichtbildnerei
leben. Er ist ein klassischer Amateur, seine berufliche
Karriere führt ihn zuerst zum Militär, später wird er
Beamter im steiermärkischen Landesdienst in Graz.32
Finanziell gut abgesichert, leistet er sich die künstle-
rische Fotografie als Freizeitbeschäftigung. Ende der
1920er und in den 1930er Jahren gehört er zu den in-
ternational am meisten ausgestellten österreichischen
Fotografen. Karnitschnigg ist einer der vehementes-
ten Kritiker der Ausstellung „Film und Foto“. 1931
wettert er unter dem bezeichnenden Titel „Modische
Sachlichkeit“ gegen die neuen Tendenzen in der Fo- tografie. Er kritisiert die „Exzesse im neuzeitlichen
Sinne“ und verwahrt sich gegen die „Verlockungen
extremer Sachlichkeit“.33 Offen nimmt er gegen
die Ausstellung „Film und Foto“ Stellung: „Daß die
Wanderausstellung ‚Film und Photo‘ fast durchwegs
Propagandamaterial äußersten Modernismus bringt,
ist wohl begreiflich, daß aber viele Amateure, deren
innere Einstellung eigentlich dezidiert konservativ
ist, einem gewissen Snobismus nachgebend, auch
diese Mode mitmachen zu müssen glauben, ist be-
dauerlich.“34 Nicht ganz dem Zufall geschuldet dürfte
es sein, dass Karnitschnigg in diesem Rundumschlag
den Begriff „Foto“, der im Titel der FiFo vorkommt, Abb.
16 „Die neue Auffassung
der modernen Photographie“.
Karikatur,
die sich über die
Stilmittel der Avantgarde
lustig
macht. MOCCA, Nr. 1, Januar
1933,
S.
55.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang