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367Heimatbilder:
Großglockner und Salzburger Festspiele
ner Landschaft und Franz Wallack, der „Erbauer und
geniale Schöpfer der Großglocknerstraße“, einander
gegenübergestellt sind. Die Aufnahmen stammen von
Lothar Rübelt. „Es ist“, heißt es gleich zu Beginn des
Berichts, „ein kleines Land im Herzen Europas, unser
Österreich. Es hat im Laufe der Jahre viel Sorge und
Mühe und Unglück ertragen müssen, noch immer
verdecken düstere Wolken die schöne, reine Bläue
eines Lebenshimmels. Aber es stimmt nicht, was
dem Österreicher so oft vorgeworfen wird, daß er so
gerne die Hände sinken lasse.“7 In pathetischen Wor-
ten werden die ideologischen Hintergründe des Groß-
bauwerks umrissen. Die Straße dient in Zeiten der
Wirtschaftskrise und der nationalen Abschottung als
Aushängeschild eines patriotischen Österreich-Pro-
jekts. Weiter heißt es: „Das kleine Österreich hat zum
Trotz gegen alle Nörgler und alle, die den Österrei-
cher schwach nennen, eine Tat hingesetzt, eine öster-
reichische Tat. Reiche Länder können leicht Straßen
bauen, von denen die Welt begeistert ist. Österreich,
arm und klein, ein Land, in dem man den Groschen
dreimal umdreht, ehe man ihn ausgibt, hat eine Tat
vollbracht, großzügig, genial, weitblickend … Die
Großglockner-Hochalpenstraße. Die Geschichte die-
ser Straße ist ein Spiegel österreichischen Kampfes
gegen Wirtschaftsnot und Verzagtheit.“8 Program-
matisch ausformuliert ist hier die merkwürdige Mi-
schung aus kollektivem Minderwertigkeitsgefühl und
Narzissmus, aus Ohnmacht und Selbstüberschätzung,
die das Land in der Zwischenkriegszeit prägt.
Ebenso wie das Hochgebirge wird in den 1930er
Jahren auch die Stadt Salzburg als ländlich-heiler
Fluchtpunkt inszeniert. Sie avanciert, zumindest
einmal in Jahr, während der Salzburger Festspiele,
zur heimlichen Hauptstadt des Landes.9 Salzburg
gilt während dieser Zeit als urösterreichiches Ge-
samtkunstwerk. Aus patriotisch-konservativer Sicht
vereint die Stadt all das, was im Austrofaschismus
das Ideal einer österreichischen Stadt ausmacht: Sie
ist klein und überschaubar, eng verbunden mit der
ländlichen Umgebung, touristisch und nicht industri-
ell ausgerichtet, ein Zentrum der bürgerlichen Hoch-
kultur, tief geprägt von der Tradition der Gegenrefor-
mation und vom politischen Katholizismus (Abb.
4),
sie ist fest in christlichsozialer Hand und – nicht zuletzt – der Anteil der jüdischen Bevölkerung hält
sich hier in engen Grenzen. Salzburg ist jene Stadt,
in der die konservative Ideologie des „Ständestaates“
in Reinform vorgeführt werden kann.
Viele Protagonisten des kulturellen Lebens, die
in Salzburg auftreten, nehmen bereitwillig am pat-
riotischen Festspielprogramm teil, das in den 1930er
Jahren von Jahr zu Jahr staatstragender wird. Die hei-
matliche Tracht etwa wird auf der gesellschaftlichen
Bühne rund um die Festspiele zum Zeichen der Da-
zugehörigkeit (Abb.
5). Zugleich ist sie ein Signet für Abb.
4 Die Salzburger
Fran-
ziskanerkirche, fotografiert
von Maximilian Karnitschnigg.
Er ist einer
der bekanntesten
konservativen Vertreter der
österreichischen Fotografie der
Zwischenkriegzeit. Die Bühne,
Erstes Augustheft 1931, S.
10.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang