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370 Landschaft, Berge, Brauchtum · Heimatfotografie in den 1930er Jahren
(Fremdenverkehr) mit der Propaganda nach innen
verbindet. Besonders gefragt sind nun Landschaften
und ländliche Motive, idyllische Genredarstellungen,
Land und Leute, Hochgebirge, Brauchtum und Traditi-
on. Aber auch auf die katholische Ideologie greift die
Regierung immer wieder gerne zurück. Bei offiziellen
Anlässen werden die christlichen Symbole als fester
Bestandteil des österreichischen Selbstverständnisses
ausgestellt (Abb.
8).
Im Juni 1933, wenige Monate nachdem Kanzler
Dollfuß seinen autoritären Regierungskurs einge-
schlagen hat, findet in Wien die Ausstellung „Ös-
terreichs Bundesländer im Lichtbilde“ statt. Sie hat
sich, so heißt es im Vorwort zum Katalog, vorgenom-
men, „Fremden und Einheimischen zu zeigen: ‚Das
ist Österreich!‘“12 Bewusst wird das ländliche, das
nicht wienerische Österreich ins Zentrum der Schau
gestellt. Freilich fällt die ideologische Anpassung
der Fotoschau an das neue Regime noch ziemlich
verhalten aus. Vertreten sind neben einigen hei-
mattümelnden Lichtbildnern (Defner, Koppitz etc.) auch zahlreiche Fotografinnen und Fotografen, die
bisher noch eher wenig in diesem Genre gearbeitet
haben, etwa Bruno Reiffenstein, Carl Zapletal, Hans
Madensky oder Martin Gerlach. Auch Aufnahmen von
Trude Fleischmann, der bekannten Wiener Atelier-
fotografin, sind in der Ausstellung zu sehen. Sie be-
ginnt um 1930, in Zeitschriften und Magazinen ihre
Landschafts- und Reisefotografien zu veröffentlichen,
zu denen gelegentlich auch Bilder von knorrigen Bau-
erntypen im Hochgebirge zählen (Abb.
9).
Auffallend ist die symbolische Präsenz der Bun-
desregierung und der Landesregierungen in der
Ausstellungsorganisation. Neben dem Kanzler En-
gelbert Dollfuß sind zahlreiche Minister und Landes-
hauptleute im Ehrenpräsidium vertreten. Sie geben
der Veranstaltung einen hochoffiziellen Anstrich.
Willig kommt der Veranstalter, der „Fachverband der
Fotografengenossenschaften“, der neuen staatlichen
Heimatdoktrin entgegen, indem er einen Aufsatz in
den Katalog aufnimmt, der sich ausdrücklich mit dem
Thema „Lichtbild und Heimatkunst“ beschäftigt.13
Ab 1933/34 findet eine ganze Reihe von Ausstel-
lungen statt, die der Heimatfotografie zusehends
mehr Gewicht geben. Besonders unter den künstle-
risch arbeitenden Amateurfotografen, die in Vereinen
organisiert sind, zeichnet sich eine deutliche Tendenz
hin zu ländlichen, heimatbezogenen Motiven ab. Im
Juni und Juli 1934 veranstaltet der im Jahr 1927 vom
Fotopublizisten Hugo Haluschka gegründete „Verband
österreichischer Amateurphotographen-Vereine“ im
Wiener Künstlerhaus eine Fotoausstellung. Diesmal
lautet der Titel nüchtern „III. Internationale Pho-
to-Ausstellung“. Wieder ist die gesamte austrofaschis-
tische Politprominenz, vom Kanzler Kurt Schusch-
nigg abwärts, im Ehrenausschuss vertreten. In der
Schau dominieren die antiurbanen Themen: Land und
Leute, Arbeitsleben auf dem Land und in Berggebie-
ten (nicht aber in der Stadt), berühmte österreichi-
sche Landschaften und Orte, Brauchtum, Stillleben,
Genrebilder usw.14
Die konservativen Lichtbildner sind nun eindeutig
in der Überzahl. Unterstützt wird der neue politische
Kurs in Richtung Heimatfotografie von zahlreichen
Verbandsfunktionären der Amateurvereine, die dem
„Ständestaat“ nahestehen. Sowohl der Präsident
Abb.
8 Katholizismus im
Dienst der Politik. Eine Ab-
ordnung von Tiroler Schützen
in historischen
Trachten und
Andreas-Hofer-Look
beim gro-
ßen Frontappell der Vaterlän-
dischen Front
auf der Schmelz
in Wien,
18.
Oktober 1936. Das
mitgebrachte überdimensionale
Kreuz wird auf der Rednertri-
büne aufgestellt, auf der u.
a.
Kanzler Schuschnigg spricht.
Wiener Bilder,
25.
Oktober
1936, Titelseite.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang