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373Protagonisten
der Heimatfotografie
künstlerischer Blick das Fruchtbarste versucht hat,
das es bei einer solchen Aufgabe gibt, nämlich nichts
anderes als den geheimen ‚künstlerischen‘ Blick-
punkt der Natur aufzufinden und dann von dort aus
die Menschen ohne jede Verfälschung so darzustel-
len, wie sie eben sind, solche Bilder zeigen nicht das
‚Gesicht der Landschaft‘, mit welchem Titel man oft
dem Reisenden eine recht leere Sammlung von Bil-
dern der Gegenden anpreist, durch die ihn der Zug
trägt. Sondern die Landschaft ist wirklich auf eine
magische und ergreifende Art mit den Menschen
zusammengewachsen, in ihren Körper gestiegen. In
den Blicken, in den Gesichtern und Gestalten unse-
rer Abbildungen ist also Österreich und die ganze
Vielfalt seiner Berge und Täler, ist Dunkelheit und
Helle, Schönheit und Gefahr seines Lebens in reiz-
voller Art zu finden. Das klug gelenkte Objektiv des
Photographen zeigt Landschaft und Menschen dort,
wo sie am stärksten wirken: in ihrer untrennbaren
Gemeinschaft.“18
Als das Österreichische Museum für Kunst und In-
dustrie Anfang 1936 eine große Koppitz-Ausstellung
zeigt, ist der Fotograf auf dem Höhepunkt seines Ruh-
mes angelangt. „Land und Leute“, so heißt die Schau,
steht programmatisch für die politisch gewollte
Akzentverschiebung hin zur Heimatfotografie.19
Gezeigt werden rund 500 Aufnahmen aus fast allen
österreichischen Bundesländern und Reisebilder aus
Ungarn, Rumänien und Italien. Im Mittelpunkt der
Ausstellung stehen die ländliche Welt und nicht die
Stadt, Bauern und nicht Arbeiter, die Tracht und nicht
der Alltag. Rudolf Koppitz stirbt im Juli 1936, wenige
Monate nach dem Ende der Schau. Seine Rezeption
als heimattreuer Fotograf ist damit aber nicht been-
det, im Gegenteil. Er wird in den kommenden Jahren
häufig ausgestellt und seine Bilder finden in Presse
und Büchern weiterhin große Verbreitung.20
Ein Koppitz-Anhänger, der dem Fotografen ein
reiches publizistisches Nachleben beschert, ist Karl
Pawek, Herausgeber der konservativen illustrierten
Kulturzeitschrift Die Pause, die ab 1935 erscheint.
Sie etabliert sich als publizistisches Forum des „Stän-
destaates“, das die Errungenschaften der Moderne
(etwa in Typografie und Layout) mit einem konserva-
tiv-reaktionären Gesellschafts- und Staatsbild verbin- det.21 Pawek veröffentlicht in den folgenden Jahren
immer wieder Koppitz-Bilder in der Pause, bewusst
stellt er den Heimatfotografen Koppitz ins Zentrum.
Dessen ländliche Idyllen passen sehr gut ins Konzept
einer staatstragenden Publikation, die neben Kunst,
Architektur und Geschichte viel Folklore, Volkskultur
und ländliches Leben präsentiert. Fast immer wird
der Mensch als Einzelner oder in der Familie gezeigt,
nie in der Masse, in der Fabrik oder in der Stadt. Die
Wirklichkeit der Großstadt Wien wird in der Zeit-
schrift vollkommen ausgeblendet.
Protagonisten der Heimatfotografie
Rudolf Koppitz ist einer von zahlreichen österrei-
chischen Heimatfotografen, deren Karrieren in den
1930er Jahren steil nach oben weisen. Wenn man
Koppitz im Umfeld der österreichischen Heimatfo-
tografie einordnet, muss man ihn wohl als eine Art
Übergangsfigur sehen, als einen Fotografen, der ei-
nen längeren Weg von der Stadt hinaus aufs Land
zurückgelegt hat und dessen politische Programma-
tik – trotz seiner offensichtlichen Sympathien für
den christlichsozialen „Ständestaat“ – nicht immer
ganz eindeutig auf den Punkt zu bringen ist. Ande-
re Fotografen dagegen wenden sich schon früh und
fast ausschließlich Landschafts-, Bauern-, Berg- und
Trachtenbildern zu. In den 1930er Jahren schlagen
sie sich weit eindeutiger auf die Seite der herrschen-
den Regierungsideologie. Unter ihnen sind die Tiroler
Fotografen Adalbert Defner (Abb.
11), Simon Moser,
Wilhelm Angerer und Peter Paul Atzwanger (Abb.
12),
der, ebenso wie Koppitz, an der Graphischen Lehr-
und Versuchsanstalt in Wien unterrichtet.
Bekannt werden sie auch durch ihre Bildbän-
de, die teilweise erst nach 1938 erscheinen. Simon
Moser bringt seinen Fotoband Deutsche Bergbauern
1940 heraus, Wilhelm Angerer die Publikation Es
rauscht ein Lied von den Bergen im Jahr 1942. Auch
Stefan Kruckenhauser reiht sich ein in die Gruppe
der Heimatfotografen. Er wird ab 1937 mit Buchpu-
blikationen bekannt, etwa mit dem Band Du schöner
Winter in Tirol, 1938 erscheint sein Bildband Verbor-
gene Schönheit.22 Die junge Fotografin Lucca Chmel
fotografiert 1936 im Auftrag des Salzburger Fremden-
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang