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376 Landschaft, Berge, Brauchtum · Heimatfotografie in den 1930er Jahren
am Himmel glänzen, steht der Heinzenbauer müde
auf zur Arbeit, zur billigen Arbeit am Herrschaftshof.
(...) Abends gehen sie heim in ihre kleinen Stuben,
schwer schleift ihr müder Schritt über die staubige
Erde. Kurz ist die Nachtruh’, dann geht schon wieder
die Sonne auf zu neuem Arbeitstag.“27
Die burgenländischen Bauern erscheinen in die-
ser Reportage geradezu als Gegenbilder zum stolzen,
freien Tiroler Bauer, wie er in der traditionellen Hei-
matfotografie beschworen wird. Sie sind arm und aus-
gebeutet, vom Großgrundbesitzer zur Gänze abhängig,
eine Art ländliches Proletariat. Diese Gestalten eignen
sich nicht für die heroischen Erzählungen der traditio-
nellen Heimatfotografie. Und so verwundert es nicht, dass Bilder wie diese im Spektrum der heimatlichen
Ansichten der 1930er Jahre die Ausnahme bleiben.
Die Wege trennen sich
Im Unterschied zu vielen anderen Bereichen der
Fotografie ist das Jahr 1938 in der Heimatfotografie
kein entscheidender Einschnitt. Ein Großteil der kon-
servativen Heimatfotografen, unter ihnen Atzwanger,
Angerer, Defner oder Kruckenhauser, arrangiert sich
problemlos mit dem Nationalsozialismus. Sie arbeiten
erfolgreich an ihren Fotobüchern und Publikationen
weiter, die nun ein großes, gesamtdeutsches Publi-
kum erreichen. Auch einige jener Fotografen, die nur
gelegentlich einen Ausflug ins Heimatfach machen,
wie von Perckhammer, Rübelt oder Lechenperg, set-
zen ihre Arbeit nach 1938 bruchlos fort, immerhin
haben sie alle in den 1930er Jahren bereits im natio-
nalsozialistischen Deutschland gearbeitet .
Andere verlassen 1938 das Land. Hans Walter
Hannau etwa, ein prominenter Vertreter des „Stän-
destaates“, Fotoamateur, Fotopublizist und Schrift-
leiter der konservativen Zeitschrift Der Lichtbildner,
geht 1939 über Holland nach New York.28 Jüdische
Fotografen wie Trude Fleischmann oder Hans Popper
flüchten 1938 ebenfalls nach New York, Hans Caspa-
rius geht im selben Jahr nach London.
1938 ist die Heimatfotografie nicht am Ende, son-
dern tritt, abgestimmt auf die Bedürfnisse der natio-
nalsozialistischen Ideologie, in eine neue Phase ein.
Maximilian Karnitschnigg etwa, in den 1930er Jahren
ein wichtiger Protagonist der konservativen Kunst-
fotografie und Unterstützer der Heimatfotografie,
passt sich nach der politischen Wende 1938 rasch
an. In den 1930er Jahren schreibt er für die deutsch-
national-konservative Zeitschrift Bergland regelmäßig
in der Rubrik „Lichtbildkunst in Österreich“. 1938
wechselt die Zeitschrift mit fliegenden Fahnen ins
Lager der Nationalsozialisten. Das erste Heft nach
dem Umbruch zeigt ein Aquarell von Adolf Hitler auf
der Titelseite. Den Leitartikel im selben Heft stellt
der Chefredakteur Kurt Wagner unter das Motto:
„Führer befiel, wir folgen!“29 Zwei Monate später, im
Juni 1938, veröffentlicht Karnitschnigg im Bergland
„Aufnahmen von Volkstypen“.30
Abb.
14 Tiroler Fasnacht-
masken. Moderne Welt, Heft
5,
Februar 1934, S.
13. Foto:
Lothar Rübelt.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang