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414 Demagogie in Bildern · Hitler in Österreich 1938
rischen Leitern besetzt.6 Auch in den Bildern wird
der neue Kurs sichtbar. Es werden nun vorzugsweise
jene Fotografen eingesetzt, die begeistert hinter dem
NS-Regime stehen (Abb.
3).
Diese Veränderungen wirken sich sehr schnell
auf die inhaltliche Ausrichtung der Presse aus. Es
wird – zumindest in der öffentlichen Darstellung – ein
radikaler Trennstrich zum „Ständestaat“ gezogen. Be-
sonders deutlich ist dies in einer bildlich inszenier-
ten Gegenüberstellung, die Ende März 1938 in der
Österreichischen Woche (die zwei Wochen später in
Ostmark-Woche umbenannt wird) erscheint (Abb.
4).
Auf der einen Seite wird das katastrophale „Schusch-
nigg-System“ gegeißelt, auf der anderen wird das an-
geblich blühende Deutschland Hitlers angepriesen.
Während links des Mittelfalzes (also in Schuschniggs Österreich) Arbeitslosigkeit, Not, Armut und Ver-
zweiflung herrschen, besticht rechts des Mittelfalzes
das nationalsozialistische Deutschland durch Wohl-
stand, Ordnung und Sicherheit. Der Volkswohnbau,
der Autobahnbau und die „Kraft durch Freude“-Aktio-
nen – all diese Errungenschaften werden in Bildern
vorgestellt.
Im Frühjahr 1938 nimmt der Umfang der Bericht-
erstattung über das nationalsozialistische Deutsch-
land in den Wiener Zeitungen schnell zu. Mit ei-
nem Schlag öffnet sich die Presse des annektierten
Landes hin zum Deutschen Reich. Die Folgen sind
vielfältig: Österreichische Blätter werden nach und
nach umbenannt, um symbolisch die Verbindungen
zum alten Staat zu kappen und die Medien für den
großdeutschen Markt fit zu machen.7 Immer mehr
„reichsdeutsche“ Fotografen, Bildagenturen und
auch Journalisten drängen nun auf den Markt der
„Ostmark“. Die Folge ist, dass sich die Wiener Blätter
in ihrer Ausrichtung schnell der reichsdeutschen Be-
richterstattung angleichen. Von nun an gibt Berlin,
nicht mehr Wien den Ton im Zeitungswesen und im
Rundfunk an.
Die Stellen der aus ihren Positionen gejagten jü-
dischen Fotografen werden schnell von parteitreu-
en Kollegen, politischen Wendehälsen und willigen
Mitläufern besetzt. Zum Zuge kommen zunächst die
bereits arrivierten Fotografen, die sich den neuen po-
litischen Verhältnissen problemlos anpassen.
Der „Führer“ spricht
Gut zwei Wochen, nachdem Hitler auf dem Wiener
Heldenplatz vor jubelnden Massen den „Anschluss“
verkündet hat, ist er neuerlich in Österreich unter-
wegs. Anfang April absolviert er eine sorgfältig vor-
bereitete propagandistische Österreich-Rundfahrt
(die sogenannte „Ostmarkfahrt“), die ihn nach Graz
(3. April), Klagenfurt (4. April), Innsbruck (5. April),
Salzburg (6. April), Linz (7. April) und Wien (9. April)
führen wird. An allen Orten werden unter gewalti-
gem logistischen Aufwand Massenkundgebungen
inszeniert, die ein einziges Ziel haben: die Bevölke-
rung für die Volksabstimmung über den Anschluss
Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland
Abb.
3 Deutsche Soldaten
nach dem
Einmarsch in Wien,
umringt von Kindern und
Jugendlichen. Das interessante
Blatt, 24.
März 1938, S.
7.
Foto:
Albert Hilscher.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang