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421Brüche,
Kontinuitäten, Karrieren
geisterte NS-Anhänger im Wiener Konzerthaus zu se-
hen, die im April 1938 über den „Anschluss“ an das
nationalsozialistische Deutschland jubeln (Abb.
4).7
Der Titel der pathetischen Doppelseite lautet: „Die
Erfüllung“.
Ausgestattet mit derart viel Macht, gelingt es Kott,
die Wiener illustrierte Presse innerhalb kürzester
Zeit verlässlich auf die neue nationalsozialistische
Linie einzuschwören. Ohne die tatkräftige Unterstüt-
zung zahlreicher Redakteure, die freudig ins national-
Insgesamt wird die Grafik nun klarer, sachlicher und
moderner. Es werden häufiger als bisher größere, pro-
fessionell gestaltete Fotoreportagen gedruckt, auch
im Innenteil und auf der Schlussseite finden nun
ganzseitige Bilder Verwendung.
Brüche, Kontinuitäten, Karrieren
Die massiven Eingriffe in das Erscheinungsbild
der Zeitungen gehen mit ihrer inhaltlichen Neuaus-
richtung Hand in Hand. Erleichtert wird dieser rasan-
te grafische und ideologische Kurswechsel auch da-
durch, dass die Redaktionen im März 1938 personell
systematisch „gesäubert“ werden und gewissermaßen
über Nacht eine neue Führung bekommen. Betriebe,
die vor 1938 in jüdischem Besitz waren, erhalten
kommissarische Verwalter (zumindest während der
ersten Monate des neuen Regimes) und von oben
eingesetzte „Hauptschriftleiter“, die das operative
Tagesgeschäft führen. Mit diesen Posten werden oft
altgediente Nationalsozialisten bedacht, die auf diese
Weise an den Raubzügen und Enteignungen beteiligt
werden. Zugleich bildet diese neue Führungsebene
eine politische Schaltstelle, über die die Unternehmen
zentral kontrolliert und gesteuert werden können.
Zum kommissarischen Verwalter des Zeitungs-
konzerns Rüdengasse, zu dem u. a. Das interessante
Blatt und die Wiener Bilder gehören, wird Sepp Payer
ernannt. Hauptschriftleiter des Interessanten Blattes
und der Wiener Bilder wird Egon Kott, der schon um
1930 in der österreichischen NSDAP politisch aktiv
gewesen ist. Anfang der 1930er Jahre wird er vom
damaligen Wiener Gauleiter Alfred Frauenfeld zum
Hauptschriftleiter aller österreichischen NS-Zeitun-
gen ernannt.5 Kott gehört 1938 zu den wichtigsten
Medienfunktionären in Wien. Er übernimmt 1938
nicht nur die Leitung der beiden größten Illustrier-
ten des Landes. Daneben leitet er auch die Kulturzeit-
schrift Die Pause, die er zu einem nationalsozialisti-
schen Propagandablatt umbaut. Auf dem Umschlag
der ersten Nummer nach dem „Anschluss“ prangt
ein Porträt des „Führers“, aufgenommen von Hein-
rich Hoffmann im Profil (Abb.
3).6 Im Innenteil der-
selben Nummer wird ein weiteres Mal Hitler im Profil
gezeigt. Auf der gegenüberliegenden Seite sind be- Abb.
2 Nach dem „Anschluss“
Österreichs an das
national-
sozialistische Deutschland wird
1938 die Propagandaillustrierte
Österreichische Woche
in Ost-
mark-Woche umbenannt. Ost-
mark-Woche, 29.
Dezember 1938,
Titelseite.
Foto: Lothar Rübelt.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang