Seite - 426 - in Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus. - Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945

426 Den Krieg vor Augen · Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik fe“.17 Auch der Text stammt von ihm. Misar liefert in den folgenden Jahren immer wieder Reportagen, die meisten davon erscheinen im Wiener Magazin. Des Öfteren beschäftigt sich der Italienliebhaber mit Themen des südlichen Nachbarn und dessen Koloni- en. Er berichtet etwa über das alte und neue Rom18 sowie mehrmals über die italienischen Kolonien in Ostafrika.19 Besonders fasziniert zeigt er sich von der antiken, aber auch der modernen italienischen Architektur, die unter dem Faschismus zu einer Sym- biose zwischen Monumentalität und Funktionalismus gelangt. Er fotografiert altrömische Säulen und Archi- tekturfragmente ebenso wie die Fassaden der faschis- tischen Monumentalarchitektur. Nationalsozialistische  Moderne Im Mai 1939 kondensiert Misar sein Credo der Moderne auf einer Doppelseite des Wiener Magazins (Abb.    6).20 Zu sehen sind auf der blau eingefärbten Magazinseite drei hochformatige Bildstreifen, die horizontal aneinandergereiht sind. Es sind Fassaden- ansichten moderner Gebäude, aufgenommen vermut- lich während einer seiner Romreisen. Ihre suggestive Wirkung erhält die Komposition dadurch, dass die Gegenständlichkeit des realen Gebäudes zurücktritt. Während sich in den beiden äußeren Aufnahmen die Gebäudefassaden noch mühelos erkennen lassen, verweist das mittlere Bild nicht mehr auf ein wirkli- ches Haus, sondern ist nur noch Ornament. Durch die engen, ungewohnten Bildausschnitte und die gerade- zu rhythmische Anordnung tendiert der Gesamtein- druck ins Abstrakte. Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass die Grundfarbe des Kupfertiefdrucks in einem Blauton gehalten ist. Ein Bild wie dieses hat wenig mit der allgemein bekannten nationalsozialistischen Ästhetik gemein. Dennoch sind solche Bildkompositionen im Wiener Magazin ab 1938, als Misar die Leitung der Zeitschrift übernimmt, nicht selten. Dass die Komposition kein bloßes Spiel mit der Abstraktion ist, sondern ganz bewusst in einen politisch-gesellschaftlichen Zusam- menhang gestellt wird, beweist der kurze Text am rechten unteren Rand der Abbildung. Er lautet: „Die Abb.  6  „Die  neue  Zeit“.  Beispiel  für  moderne  Fotografie  und  Gestaltung  im  Nationalsozi- alismus.  Wiener Magazin,  Heft  5,  Mai  1939,  S.  60  und  61.  Fotos:  Hans  Misar.