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430 Den Krieg vor Augen · Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik
es also erneut zu einer grundlegenden Reform des
illustrierten Pressemarktes. Anders als 1938 ent-
scheidet aber weniger die ideologische Ausrichtung
über Verbot oder Weiterbestand eines Blattes – alle
verbliebenen Illustrierten sind inzwischen längst
auf NS-Linie. Im Herbst 1939 geht es vielmehr um
eine Neuausrichtung der Presse entsprechend den
Erfordernissen des Krieges. Der Polenfeldzug dient
als Anlass, um die illustrierte Presse auf die propa-
gandistische Begleitung des Krieges einzuschwören.
Im Bereich der illustrierten Wochenpresse, die über
die aktuelle Politik berichtet, kommt es zu einer Bün-
delung der Kräfte. Aus Wien liefert ab jetzt nur noch eine einzige Illustrierte, nämlich die neu gestaltete
Wiener Illustrierte, aktuelle Bildberichte. Diese wird
zum exklusiven Sprachrohr des Regimes. Das Blatt
erhält privilegierten Zugang zum Bildmaterial der
Propagandakompanien (PK).28 In der Folge wird die
Berichterstattung der Illustrierten stark militarisiert.
Der Krieg wird ab jetzt zum Hauptthema, das in zahl-
reichen Bildberichten präsentiert wird.
Wenn wir die Hefte der Wiener Illustrierten ab
September 1939 Revue passieren lassen, zeigt sich
eine seltsame Dichotomie zwischen martialischer
Kriegsberichterstattung und friedlichem Genrebild,
das während des Krieges zu einem festen Bestandteil
der nationalsozialistischen Bildpolitik werden sollte.
Während etwa auf der Titelseite und im Innenteil
häufig über die siegreichen Kämpfe in Polen, Frank-
reich und später in der Sowjetunion berichtet wird,
wird auf der Schlussseite oft die Schönheit des Le-
bens gefeiert. Ein Beispiel: Am 13. September 1939
ist die Titelseite der Wiener Illustrierten den Verwun-
deten der Ostfront gewidmet, während für die letzte
Seite Lucca Chmel eine schöne junge Frau ganzseitig
in Szene setzt.29
Antisemitismus
Im März 1938 ist die Gewalt gegenüber jüdischen
Bürgern in Wien allgegenwärtig. In vielen Erinne-
rungsberichten sind die erschreckenden Details die-
ses ebenso brutalen wie demütigenden Vorgehens
festgehalten. Entsprechende Fotografien sucht man
in der auflagenstarken illustrierten Presse allerdings
vergeblich. Das ist gewiss kein Zufall. In der Öffent-
lichkeit soll das Bild eines legalen und gewaltlosen
Übergangs zum neuen Regime vermittelt werden.
Hinweise auf entfesselte Gewalt und „wilde Arisie-
rungen“ will man um jeden Preis vermeiden. Nur
indirekt wird der Raub jüdischen Besitzes in Bildern
thematisiert. Als beispielsweise das Kleiderhaus Tho-
mas Krabath mit Hauptsitz am Sparkassenplatz 6
eine neue Zweigstelle in der Mariahilfer Straße 47
eröffnet, wird dies Ende März 1939 in einer ganzsei-
tigen Anzeige in der Wiener Illustrierten mitgeteilt
(Abb.
11). Die Annonce besteht aus mehreren Bildern
des bekannten Wiener Architekturfotografen Bruno
Abb.
10 „Ein einiges
großes
Vaterland unter der genialen
Führung Adolf Hitlers“. Luis
Trenker
unterstützt Tage vor
der Volksabstimmung über den
Anschluss an das nationalsozia-
listische
Deutschland (10.
April
1938) die Propaganda für ein
„Ja“. Mein Film, Heft 8, April
1938, S.
4.
Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rasende Reporter: Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus.
- Untertitel
- Fotografie, Presse und Gesellschaft in Österreich 1890 bis 1945
- Autor
- Anton Holzer
- Verlag
- Primus Verlag
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-86312-073-3
- Abmessungen
- 23.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 498
- Schlagwörter
- Fotojournalismus, Pressefotografie, Fotografie, Fotografiegeschichte, Mediengeschichte, Kulturgeschichte, Populärkultur, Österreich
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Auf den Spuren der rasenden Reporter Vorwort 7
- Neue illustrierte Welt Einleitung 10
- Bilder, Nachrichten, Sensationen Die Zeitungsstadt Wien um 1900 22
- Die Jagd nach Sensationen Pioniere der Pressefotografie 36
- Fotos statt Zeichnungen Das Entstehen einer fotografischen Öffentlichkeit 51
- Bild und Text Die Rhetorik der Zeitungsseiten 59
- Redaktion, Druck, Vertrieb Wie eine illustrierte Zeitschrift entsteht 70
- Im Rampenlicht Der Kaiser im Blick der Fotografen 77
- Als die Männer fliegen lernten Die ersten Wiener Flugschauen 91
- Mit der Kamera bewaffnet Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg 105
- Theater der Macht Parlament und Politik in Bildern 117
- Kampf um die Straße Demonstrationen, Kundgebungen und Massenpolitik 134
- Im Schatten der Konzerne Politische Illustrierte in der Zwischenkriegszeit 145
- Bilder für alle Die Welt der Magazine und Revuen 170
- Bilder als Propaganda Die illustrierte Regierungspresse nach 1934 194
- Erzählende Bilder Die moderne Fotoreportage in der Zwischenkriegszeit 203
- Handel mit Bildern Die Rolle der Fotoagenturen 234
- Politische Bilder Die Kultur der Arbeiterfotografie 248
- Amerika, ein Traum Wolkenkratzer und Tiller Girls 263
- Bubikopf und Zigarette Bilder der „Neuen Frau“ 277
- Experiment und Bewegung Tanzschritte in eine neue Zeit 286
- Wenn die Hüllen fallen Erotik, Sexualität und Nacktfotografie in der Zwischenkriegszeit 296
- Schöne neue Warenwelt Reklame und Mode in der Fotografie 304
- Dramatische Nähe Sport und Fotografie 317
- Frauen hinter der Kamera Die neuen Fotografinnen 331
- Die kurze Zeit der Avantgarde Fotografische Aufbrüche um 1930 344
- Landschaft, Berge, Brauchtum Heimatfotografie in den 1930er Jahren 363
- Fotografisches Feuilleton „Der Sonntag”: ein vergessenes Forum moderner Reportagefotografie 378
- Demagogie in Bildern Hitler in Österreich 1938 411
- Den Krieg vor Augen Nationalsozialistische Medienpolitik und Ästhetik 419
- Eine andere Kulturgeschichte Schluss 437
- Anhang