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Kanzlei -
korrespon denz
und
Humanistenbrief
Martin Korenjak
Brief
Im Tirol des 16. Jhs. kreuzen sich mit der Korrespondenz der fürstlichen Kanzleien
auf der einen, dem nichtamtlichen Humanistenbrief auf der anderen Seite sozusa-
gen eine ab- und eine aufsteigende Entwicklungslinie des nlat. Briefes. Die Kanz-
leikorrespondenz steht in einer mittelalterlichen Tradition : Sie folgt den Regeln der
sogenannten Artes dictaminis, die mithilfe von Musterstücken und Formularen zum
Verfassen verschiedenartiger Urkunden und Briefe anleiten, und orientiert sich dar-
über hinaus an den jahrhundertealten Usancen wichtiger Kanzleien wie derjenigen
der päpstlichen Kurie. In formaler Hinsicht ist sie v.a. durch folgende Merkmale
gekennzeichnet : unantike Anfangs- und Schlussformeln : zu Beginn direkte An-
rede an den Empfänger, am Schluss Datum und Name des Schreibers, jeweils mit
streng nach Rang und Verhältnis der beiden Parteien geregelter, oft hyperbolisch-
exuberanter Titulatur ; Gebrauch des pluralis maiestatis für die höhergestellte Par-
tei, sowohl in der ersten als auch in der zweiten Person, oft in Formeln vom Typ
Vestra Celsitudo („Eure Erhabenheit“) ; Hang zum ausufernden Periodenstil, dabei
aber keine Scheu vor mittelalterlichen Wörtern und Wendungen sowie unklassi-
schen Fachausdrücken ; Briefgattungen, die in der antiken Brieftheorie und -praxis
nicht vorkommen ; fließende Übergänge zu anderen Arten von Kanzleischrifttum
wie Dekret, Urkunde, Vertrag, Gesandtenbericht usw. Das Lat. wird hier in einem
mehrere Jahrhunderte dauernden Prozess von den Volkssprachen zurückgedrängt
(auch wenn es mancherorts, z.B. in den Klöstern, noch länger die ausschließliche
Sprache des offiziellen Briefverkehrs bleiben wird, vgl. hier S. 995). Dagegen erlebt
der Humanistenbrief (vgl. Palme 1993, 218–228) in der vorliegenden Epoche einen
Aufschwung. Er orientiert sich v.a. an antiken Theoretikern und an Briefsamm-
lungen wie denen Ciceros und des jüngeren Plinius. Dementsprechend bemüht er
sich um antikes Briefformular (Beginn mit A B salutem dicit [„A grüßt B“], Schluss
mit Vale [„Leb wohl“] o.ä.) und reine Latinität und strebt tendenziell einen urba-
nen Gesprächsstil an. Während beim Kanzleibrief zwischen Absender und Adressat
meist große Standesunterschiede bestehen, will der Humanistenbrief in erster Linie
ein Austausch unter Freunden sein. Nicht mehr das Wohlwollen des Höhergestell-
ten und die Ergebenheit des Untertanen bestimmen den Ton, sondern die Herz-
lichkeit, die unter gleichgesinnten amici herrscht. In der Praxis kommen die beiden
skizzierten Idealtypen allerdings nur selten ganz rein vor ; Mischformen sind eher
die Regel als die Ausnahme (vgl. Schaller 1980 ; Gruber u.a. 1983, 652–662 ; Smo-
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593