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Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 77
Kräfte in uns – außer uns – in selbstvergessener Arbeit zur festlichen Tat gestalten – heißt
Gestalten nach Kinder Art.“260
2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser
Bereits kurz nach dem Amtsantritt als Direktor des Bauhauses formulierte Gropius in
einem Brief an den Intendanten des Weimarer Theaters, Ernst Hardt, seine Baupläne für
Weimar, die dem Bedürfnis nach angemessenem Wohnraum entsprangen: „Ich stelle mir
vor, daß in Weimar eine große Siedlung sich um den Belvedereberg bilden soll, mit einem
Zentrum von Volksbauten, Theatern, Musikhaus und als letztem Ziel einen Kultbau, und
daß jährlich im Sommer große Volksfestspiele dort stattfinden, bei denen das Beste gebo-
ten werden soll, was die neue Zeit an Theater, Musik und bildender Kunst zu geben weiß.
Ich bin entschlossen, in meinem Kunstinstitut mit Hilfe aller Meister und Studierenden
zunächst auf dem Papier große Pläne dieser Art aufzustellen und zu propagieren.“261 Die
Idee des Kulturzentrums als Mittelpunkt der Siedlung entsprang dem von Bruno Taut
1918 verfassten Architekturprogramm. Gropius beabsichtigte die Siedlung mit Taut zu
planen und im Arbeitsrat für Kunst zu diskutieren, doch dazu kam es nicht.262
Im September 1920 bat Gropius um Ideenvorschläge von allen MeisterInnen und
SchülerInnen für eine geplante Bauhaussiedlung.263 Vor allem Walter Determanns Sied-
lung von 1920 entspricht dem von Gropius geplanten Vorhaben am Belvedereberg.264
Prismatische Formen dominieren den Lageplan und die sechseckige Grundform weckt
„Assoziationen an Initiationsteppiche der Freimaurer“265 (Abb. 36). Es gelang Gropius
jedoch nicht, die ambitionierten Siedlungspläne umzusetzen, daher konzentrierte er
sich auf die Einbeziehung der Schule in Arbeiten seines privaten Baubüros. So entstand
1920 als erstes realisiertes Architekturprojekt am Bauhaus in Zusammenarbeit mit Adolf
Meyer ein Holzblockhaus für den Bauunternehmer Adolf Sommerfeld in Berlin-Lich-
terfelde (Abb. 37). Bei diesem Bau, der sich an die Prärie-Häuser Frank Lloyd Wrights
anlehnt, zeichnet sich Gropius’ Beschäftigung mit der Architektur des amerikanischen
Architekten ab, dessen 1910 in Deutschland erschienenes Buch Ausgeführte Bauten und
Entwürfe266 er sorgfältig studiert hatte.267 Der Holzbau führte mit den Schnitzarbeiten an
260 Brief Johannes Itten an Anna Höllering, 15.12.1919. Zitiert nach: Bestgen 2009, S. 146.
261 Brief Walter Gropius an Ernst Hardt, 14.4.1919, in: Goetz-Hardt/Meyer 1975, S. 109-110.
262 Jaeggi 2005, S. 40–41.
263 Winkler 1994, S. 289.
264 Jaeggi 2005, S. 41.
265 Jaeggi 2005, S. 40.
266 Wright 1910.
267 Kieren 20062, S. 192.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Titel
- Bauhaus in Wien?
- Untertitel
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Autor
- Katharina Hövelmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Abmessungen
- 17.4 x 25.6 cm
- Seiten
- 492
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482