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Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 177
Moser, die auch als Lehrkräfte die Wiener Kunstgewerbeschule künstlerisch prägten, die
Möglichkeit, beide Einrichtungen aneinander zu binden und in Wien damit „so etwas
wie ein Proto-Bauhaus“26 einzurichten, auch wenn tatsächlich keine organisatorische
Verschmelzung bestand.27 Wick vermutet, dass diese offensichtlichen Parallelen vielleicht
Grund dafür waren, warum Gropius in seiner Vorgeschichte zum Bauhaus in dem Band
Staatliches Bauhaus Weimar 1919–192328 Wien gänzlich unerwähnt ließ und weist darauf
hin, dass Gropius in seinem Aufsatz mit keinem Wort den Wiener Beitrag zur Erneue-
rung von Kunst, Kunstgewerbe und Pädagogik anführt. Dies ist insofern bemerkenswert,
als Gropius seit seiner Begegnung 1910 mit der Wienerin Alma Mahler – mit der er von
1915 bis 1920 verheiratet war – bestens mit der Wiener Avantgarde vertraut gewesen sein
dürfte.29 Den jungen Johannes Itten, der in den Anfangsjahren wesentlich den Unterricht
am Bauhaus prägte, hatte er in Wien beispielsweise über sie kennengelernt. Fest steht,
dass sich durchaus formale Korrespondenzen zwischen den am Bauhaus ab 1922 und
den von Josef Hoffmann und Koloman Moser in den Jahren 1902 bis 1904 entstandenen
Möbeln herstellen lassen.30 So verfolgten auch die beiden Wiener Werkstätten-Gründer
eine geometrische, geradlinige und kubische Gestaltung für ihre Möbelentwürfe, die ih-
rerseits durch die Entwürfe des Briten Charles Robert Ashbee angeregt worden waren.31
5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit
Österreich hatte bereits um 1900 mit Otto Wagner, Josef Hoffmann und Adolf Loos den
europäischen Architekturdiskurs maßgeblich geprägt.32 In den 1920er-Jahren, so Fried-
rich Achleitner, hatten die Wiener Architekten „ihre Moderne als ästhetische Revolution
schon lange hinter sich“33. Gegenüber dem Bauhaus und dem Neuen Bauen war aus
Wien Skepsis zu vernehmen, die sich vor allem in den Schriften Josef Franks (1885–1967)
26 Wick 1994a, S. 10.
27 Wick 1994a, S. 17.
28 Gropius 1923, S. 7–18.
29 Wick 1994a, S. 10.
30 Wick 1994a, S. 9–10, 22–23.
31 Der Architekturhistoriker Sekler schreibt, dass Hoffmann um 1900 in der Formensprache seiner
Möbel in erster Linie durch Ashbee und nicht, wie vielfach angenommen, durch Macintosh geprägt
gewesen sei: „[...] während Hoffmann betont rechtwinklig, geradlinig und schmucklos bleibt, finden
sich bei Macintosh subtile Kurven, zart skulptierte Verzierungen und dekorative Einsätze, so daß die
Gesamtwirkung komplexer und eleganter erscheint. Hoffmann steht daher in diesem Falle Ashbee
stilistisch viel näher als Macintosh, was bei seinem erwiesenen Interesse für Ashbee und der Guild of
Handicraft nicht verwunderlich ist [...].“ Siehe: Sekler 19862, S. 40.
32 Nierhaus 2009, S. 245.
33 Achleitner 1996, S. 100.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Titel
- Bauhaus in Wien?
- Untertitel
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Autor
- Katharina Hövelmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Abmessungen
- 17.4 x 25.6 cm
- Seiten
- 492
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482