Seite - 134 - in Bauhaus in Wien? - Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
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Die Wiener Ateliergemeinschaft
1925–1938134
der Vorwurf der Polizei, sollten unter anderem in den Räumlichkeiten ihres Ateliers in
der Heiligenstädterstraße 11 und in einer Wohnung in der Wasserburgergasse 2 – ver-
mutlich das ehemalige Atelier – die Passfälschungen vorgenommen worden sein.75 Friedl
Dicker musste sich am 23. März 1932 vor Gericht verantworten, wobei sie die Vorwürfe
mit der Begründung zurückwies, dass sie von den Passfälschungen in ihrem Atelier nichts
gewusst habe. Sie wurde jedoch zu drei Monaten Gefängnis wegen versuchten Betruges
verurteilt und verbüßte schließlich eine Haftstrafe vom 11. bis 27. September 1932.76
Bisher wurde fälschlicherweise angenommen, Dicker sei im Zuge der Februar-Kämpfe
1934 verhaftet worden, dies deckt sich jedoch nicht mit der Tatsache, dass sie sich von
ihrem letzten Wohnsitz in Wien bereits 1933 nach Franzensbad abmeldete.77
4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen
Im Wiener Atelier waren über den Zeitraum von 1925 bis 1938 verschiedene Mitarbeite-
rInnen beschäftigt. Auffällig erscheint, dass vorwiegend StudentInnen oder AbgängerIn-
nen der Technischen Hochschule Wien angestellt wurden. Angesichts der Tatsache, dass
Friedl Dicker und Franz Singer selbst nicht in Architektur und Bauzeichnen ausgebildet
waren, ist dies ein nachvollziehbares Vorgehen (Abb. 89–90).
Um 1927 begann Bruno Pollak im Atelier mitzuarbeiten. Er hatte mit Unterbre-
chungen von 1921 bis 1930/1931 an der Technischen Hochschule Wien studiert, sein
Studium aber nicht abgeschlossen.78 Während seiner Zeit im Atelier entwarf er einen
stapelbaren Stahlrohrstuhl, der in Wien von dem Stahlmöbelhersteller Josef und Leo-
pold Quittner und schließlich von der britischen Firma PEL ausgeführt wurde. Es heißt,
75 Dicker war zusammen mit den folgenden Personen angeklagt: Wilhelm Gramsamer, Emmerich Kli-
war, Wilhelm Klose und Raimund Reichel. Diese Informationen sind folgenden Zeitungsartikeln
zu entnehmen: Prager Tagblatt, 5.11.1931, Die Rote Fahne, 22.3.1932, 24.3.1932, Das kleine Blatt,
23.3.1932, Reichspost, 23.3.1932.
76 Haftentlassungszettel Friedl Dicker, 27.9.1932. Siehe: WStLA 2017.
77 Auch Martha Hauska-Döberl berichtet, dass Dicker in der Heiligenstädterstraße im „Herbst 1931“
verhaftet worden sei. Siehe: BHA, Ordner Dicker/Singer Ausstellung 1970, Brief Martha Hauska-
Döberl an Margit Téry-Buschmann, 14.9.1969. Im 1970 erschienenen Ausstellungskatalog ist je-
doch angegeben, dass Dicker 1934 verhaftet wurde. Vgl. Kat. Ausst. Bauhaus-Archiv 1970, S. 11.
Die Biografie im Ausstellungskatalog von 1988 und auch Makarovas Ausstellungskatalog folgen
dieser falschen Angabe. Vgl. Kat. Ausst. Heiligenkreuzerhof 1988, S. 109; Makarova 1999, S. 23,
238. Von weiteren AutorInnen wurde diese Angabe ebenfalls ungeprüft übernommen. Laut den
Meldeunterlagen lebte Dicker jedoch nur bis Juni 1933 in Wien: WStLA, Meldeunterlagen, Frie-
derike Dicker, Auskunft 17.6.2011: 3.4.1933–24.6.1933 9., Latschkagasse 9/18, Abmeldevermerk:
Franzensbad, C.S.R.
78 Benton 1995, S. 196.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Titel
- Bauhaus in Wien?
- Untertitel
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Autor
- Katharina Hövelmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Abmessungen
- 17.4 x 25.6 cm
- Seiten
- 492
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482