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„Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien
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von Ostersetzer zu eruieren und die Vorteile gegeneinander abzuwägen. Mir erscheint es
keineswegs sicher, ob nicht eine kleine Firma, die sich sehr bemüht, mit einem Artikel
in besserer Qualität in England mehr erreicht, als eine grosse?“236 Singer befürchtete also
eine Qualitätsminderung seines Entwurfs, präferierte nach wie vor kleinere Hersteller
und distanzierte sich damit per se von der Massenherstellung. So versuchte er es mit den
Sperrholzmöbeln auch noch einmal bei Metz & Co und reichte um 1938 die Entwürfe
für einen Kindertisch, einen stapelbaren Kinder- und Beistelltisch, einen Kinderstuhl in
X-Form 44/2, einen Polstersessel, einen Stapeltisch und einen Damensekretär ein.237 Die
Möbel wurden jedoch nicht in das Sortiment der Firma aufgenommen.
5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938
Zentral im Schaffen der Ateliergemeinschaft war das Entwerfen von Kindermöbeln und
-spielen. Sie zeigen eine Orientierung an der Reformpädagogik und weisen Parallelen zu
den von Alma Buscher 1923 am Bauhaus entwickelten innovativen und multifunktiona-
len Kindermöbeln auf.
Auch andere Studierende am Bauhaus waren in diesem Bereich tätig. Zeigen das 1920
für seinen Sohn entworfene Kinderbett von Johannes Itten und die zur Ikone gewordene
Wiege Peter Kelers die neuen Gestaltungsabsichten am Bauhaus, so sind diese Möbel
jedoch nicht auf kindliche Bedürfnisse abgestimmt (Abb. 231–232). Und auch Marcel
Breuers Sitzensemble für Kinder aus dem Jahr 1924 stellt lediglich eine Miniaturaus-
gabe der von ihm bereits entworfenen Möbel für Erwachsene dar (Abb. 233).238 Die am
Dessauer Bauhaus entstandenen Möbel, wie beispielsweise ein von Breuer entworfenes
Kinderbett und ein Kleiderschrank von Katt Both aus dem Jahr 1927, knüpfen ebenso
nicht an die Innovation von Alma Buschers Kindermöbeln an. Buscher fasste das Kind
als eigenständiges Wesen auf und setzte sich für ihre Entwürfe mit den Bedürfnissen
des Kindes auseinander: „Kinder sollten, wenn irgend möglich einen Raum haben, in
dem sie das sein können, was sie wollen, in dem sie herrschen. Jedes Ding darin gehöre
ihnen, – ihre Fantasie gestaltet es – [...] die Form entspreche der Größe, der praktische
Zweck hindere nicht die Spielmöglichkeiten. – Lichte bunte Farbe steigere fröhliche,
helle Stimmung [...]“239. Damit verfolgte sie die neuen pädagogischen Ideale einer Erzie-
hung, die vom Kind ausging, wie sie durch die 1900 und 1909 veröffentlichten Bücher
Das Jahrhundert des Kindes von Ellen Key und Maria Montessoris Die Entdeckung des
236 AGS, Brief Franz Singer an Julius Singer, 18.10.1937.
237 SAA, Archiv der Firma Metz & Co, Inv.-Nr. 977-315.
238 Wolsdorff 2002, S. 26–27.
239 Zitiert nach: Fiedler 2007, S. 50. Siehe auch: Baumhoff 2009, S. 245.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Titel
- Bauhaus in Wien?
- Untertitel
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Autor
- Katharina Hövelmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Abmessungen
- 17.4 x 25.6 cm
- Seiten
- 492
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482