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Berufliche
Anfänge114
3.2.2 Die Auflösung
Finanziell hatten auch die Werkstätten Bildender Kunst gravierende Probleme. So schreibt
der nicht identifizierbare Geschäftsführer in einem Brief an Ludwig Münz am 28. Januar
1924: „Die Werkstätten Bildender Kunst G.m.b.H. haben mich mit der geschäftlichen
Leitung betraut. Bei der Durchsicht der Papiere der Gesellschaft bemerkte ich die erheb-
lichen Posten, die die Truppe uns schuldet. [...] Die G.m.b.H. ist in der unangenehmsten
wirtschaftlichen Lage, so daß ich Herrn Singer erklären mußte, daß ich jede Verantwor-
tung für das Schicksal der G.m.b.H. ablehne, wenn nicht Schritte getan würden, wenigs-
tens ein Teil der 3033,67 hereinzubringen. [...] Mir ist bekannt, daß Sie, verehrter Herr
Doktor, die Truppe unter bedeutenden Opfern durchhalten, ich bitte Sie daher, meine
Stellung nicht als die eines kaltherzigen Gläubigers aufzufassen, wir, die Truppe & die
G.m.b.H. stehen vielmehr gemeinsam vor der Notwendigkeit, Geld aufzubringen. [...]
Wie dringlich, wie grundlegend für unsere Existenz die Lösung dieser Frage ist, wollen
Sie daraus entnehmen, daß wir vor der Frage stehen, ob wir nicht zum 15., spätestens 29.
Feber unseren sämtlichen Arbeitern & Angestellten kündigen, sie brotlos machen & und
unseren Betrieb einstellen müssen. Zudem bitte ich Sie zu beachten, daß Herr Singer
nicht eigene, sondern fremde Gelder verwaltet & als Geschäftsführer der G.m.b.H. deren
Gläubiger haftet, vor allem im Falle des nicht unmöglichen Konkurses.“97 Diese finan-
ziellen Missstände hielten weiter an. Aus einem Brief von Juli 1924 der Werkstätten Bil-
dender Kunst GmbH geht hervor, dass auch Berthold Viertel gebeten wurde, ausstehende
Zahlungen, ein ihm von Franz Singer ausgegebenes Darlehen, wieder zurückzuzahlen:
„In Folge der schlechten geschäftlichen Lage und der katastrophalen Geldknappheit, die
unser Unternehmen in schwerster Weise gefährden, sind wir gezwungen, die schnellste
Begleichung unserer Aussenstände zu verlangen. Wir bitten Sie daher höflichst, uns mög-
lichst umgehend diese Summe zukommenlassen [sic!] zu wollen.“98
Aus Briefen Dickers an ihre Freundin Anny Wottitz gehen auch Unstimmigkeiten
mit einigen MitarbeiterInnen der Werkstätten hervor: „Sluzky [sic!] ist jetzt fleißig aber
schwierig. – Mit Dolly ist es ‚ein Kreuz‘, sie kriegt einen Gehalt der ihr zu klein und uns
zu groß ist, Du hörst über diesen Punkt mehr von Franz aus diesen Gründen, der zu
teuren Arbeitskräfte, kommen unsere Sachen zu hoch, das alte Lied.“99 In einem weiteren
Brief deutet sich die baldige Auflösung der Werkstätten an: „Gorodisky geht, hoff ich,
bald. [...] Der Schachtitz ist zu teuer [...]. Die Werkstatt ohne Wanda100 ist der blanke
97 AGS, Brief Geschäftsführer Dr. Rep[unleserlich] der Werkstätten Bildender Kunst GmbH an Lud-
wig Münz, 28.1.1924.
98 AGS, Brief Werkstätten Bildender Kunst GmbH an Berthold Viertel, 5.7.1924.
99 UAKKA, Brief Friedl Dicker an Anny Wottitz, undatiert, um 1924, Inv.-Nr. 13.702.
100 Nicht identifizierte Mitarbeiterin.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Titel
- Bauhaus in Wien?
- Untertitel
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Autor
- Katharina Hövelmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Abmessungen
- 17.4 x 25.6 cm
- Seiten
- 492
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482