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Raumgestaltungen und Architektur 309
bung jedoch ein künstlerisches Prinzip. Auch wenn Singers Argument, dass eine ver-
größerte Fläche die Heizkraft vermehrt, theoretisch korrekt ist, wird dies nicht mit den
durchbrochen gearbeiteten Kachelöfen erreicht worden sein, da eine gleichmäßige, ef-
fiziente Wärmeverteilung im Inneren so erschwert worden sein dürfte. Die erhaltenen
Entwurfszeichnungen weiterer Kachelöfen der Ateliergemeinschaft zeigen einen großen
Farbreichtum. Letztendlich handelte es sich demzufolge um ein modisches „Frisieren“
des bewährten Kachelofens. Ein aus senkrechten und waagerechten, miteinander ver-
schränkten Elementen bestehender Kachelofen für die Auftraggeber Reymers-Münz
wirkt geradezu wie eine konstruktivistische Plastik (Abb. 295).
Offen für diese unkonventionelle Formgestaltung war Alfred Fritzsche, der Schwie-
gersohn von Karl Fessler, der seit 1926 Alleininhaber der traditionsreichen Öfen- und
Tonwarenfabrik Eduard Fessler in Wien war.317 Das 1794 gegründete Unternehmen be-
lieferte beispielsweise die Schlösser Schönbrunn, Laxenburg, Konopischt, Chlumec, die
Hofburg in Wien und verschiedene Ringstraßenpalais. Nach dem Ersten Weltkrieg geriet
die Auftragslage jedoch ins Stocken, da nun die aristokratischen Aufträge ausblieben.
Die Firma orientierte sich neu und führte unter Fritzsche beispielsweise Kachelöfen von
Hertha Bucher aus, deren Entwürfe jedoch formal wesentlich konventioneller als die der
Ateliergemeinschaft ausfielen.318 Dickers und Singers Anspruch, auch die Kachelöfen der
Wohnungen zu entwerfen, verdeutlicht ihren Willen zur Gesamtgestaltung. Zimmerbe-
reiche mit noch vorhandenen, alten Kachelöfen wurden beim Fotografieren ihrer fertig-
gestellten Einrichtungen weitestgehend ausgespart oder später wegretuschiert.319
5.5 Raumgestaltungen und Architektur
5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel
Farbe war am Bauhaus nicht nur Basis der Malerei, sondern fungierte als umfassendes
Gestaltungsmittel in der gesamten Geschichte des Bauhauses.320 Obgleich eine systema-
tische Farbenlehre für die ersten Bauhaus-Jahre schwer nachweisbar ist, flossen durch
Ittens Vorkurs Hölzels Kunstlehre und damit auch die Farbenlehre in der Tradition von
317 Fessler 2017; Haslinger 1996, S. 58–59.
318 Vgl. Abb.: Innendekoration 1923, S. 243.
319 Solche Retuschen sind beispielsweise für die Wohnung Reiner-Lingens und die Wohnung Wottitz-
Moller nachweisbar.
320 Düchting 1996, S. 13. Für Bruno Taut, der abseits vom Bauhaus arbeitete und vehementer Ver-
fechter von Farbe am Bau war, symbolisierte diese Lebensfreude und Schönheit. Siehe: Schmidt-
Thomsen 2005, S. 20.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Titel
- Bauhaus in Wien?
- Untertitel
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Autor
- Katharina Hövelmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Abmessungen
- 17.4 x 25.6 cm
- Seiten
- 492
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482