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Ammianus Marcellinus, ein Autor des 4. Jahr-
hunderts n. Chr., berichtet in seinen »Res gestae«
(Amm. 29, 6, 1) über die Quaden:
[…], ut indicant properata quondam raptim pro-
clivia obsessaque ab isdem Marcomannisque
Aquileia diu Opitergiumque excisum et cruenta
complura per celeres acata procinctus, vix resis-
tente perruptis Alpibus Iuliis principe Pio, quem
ante docuimus, Marco.
»Das beweisen wenigstens die Raubzüge, die
sie früher mit Blitzesschnelle durchführten, die
Belagerung von Aquileja, die sie zusammen mit
den Markomannen unternahmen, die Zerstörung
von Opitergium und viele blutige Taten, die sie in
schnellen Kriegszügen vollbrachten. Als sie über
die Julischen Alpen eingefallen waren, konnte
ihnen, wie ich früher dargelegt habe, der Kaiser
Marc Aurel kaum Widerstand leisten.«31
Cassius Dio, dessen Schaffenszeit etwa vom
ausgehenden 2. bis in das beginnende 3. Jahr-
hundert n. Chr. reicht, stand den Geschehnissen
der Markomannenkriege zeitlich näher als Ammia-
nus Marcellinus. Eine gewisse Vertrautheit mit der
Situation in den Donauprovinzen einschließlich der
Problematik der Germanen jenseits der Donau darf
wohl von seiner Funktion als Statthalter der Pro-
vinz Pannonia superior abgeleitet werden. In seiner
römischen Geschichte (Cass. Dio 71, 3, 2
– 3) ist fol-
gende kurze Passage überliefert:
Πολλοὶ δὲ καὶ τῶν ὑπὲρ τὸν ῾Ρῆνον Κελτῶν μέχρι
τῆς ᾽Ῑταλίας ἤλασαν, καὶ πολλὰ ἔδρασαν ἐς τοὺς
῾Ρωμαίους δεινά· οἷς ὁ Μᾶρκος ἀντεπιὼν Πο-
μπηιανόν τε καὶ Περτίνακα τοὺς ὑποστρατήγους
ἀντικαθίστη. καὶ ἠρίστευσεν ὁ Περτίναξ, ὃστις
καὶ ὕστερον αὐτοκράτωρ ἐγένετο. ἐν μέντοι τοῖς
νεκροῖς τῶν βαρβάρων καὶ γυναικῶν σώματα
ὡπλισμένα εὑρέθη. καίτοι δὲ ἰσχυροτάτου
ἀγῶνος καὶ λαμπρᾶς νίκης γεγενημένης, ὃμως ὁ
αὐτοκράτωρ αἰτηθεὶς παρὰ τῶν στρατιωτῶν οὐκ
ἒδωκε χρήματα.
»Auch drangen Germanen in Mengen von jen-
seits des Rheines bis nach Italien vor und taten
den Römern viel Böses an. Marcus ging nun sei-
nerseits zum Angriff über, wobei er ihnen seine
Unterfeldherren Pompeianus und Pertinax ent-
gegenstellte. Und Pertinax, der spätere Kaiser,
zeichnete sich dabei besonders aus. Unter den
Vgl. Goertz 1995, 87. 113. Vgl. Meister 1999, 17: »Kurzum:
Geschichtsschreibung ist nicht mit der wirklichen Geschichte
identisch, sondern bemüht sich um eine mehr oder minder
subjektive Rekonstruktion der Geschichte: Sie ist deshalb
geformte Überlieferung.«
31 Übersetzung: Seyfarth 1971, 190 f. Abweichende Lesungen:
vgl. Zwikker 1941, 152 f. Anm. 9; Böhme 1977, 162 Anm. 32;
Rosen 1994, 87. 96 f. gefallenen Barbaren fand man sogar Leichen
bewaffneter Frauen. Obwohl es zu einer gar ge-
waltigen Schlacht kam und ein glänzender Sieg
errungen wurde, lehnte der Kaiser die Forderung
seiner Soldaten nach einem Donativ ab.«32
In Zusammenhang mit dem von römischer Seite
»errungenen glänzenden Sieg« ist auch eine Stelle
aus der Historia Augusta (SHA Pert. 2, 4 – 6) von
Interesse, die überliefert, Pertinax habe als Kom-
mandeur der ersten Legion die Provinzen Noricum
und Rätien von den Eindringlingen befreit:
[…] Marcusque imperator, ut compensaret iniu-
riam, praetorium eum fecit et primae legioni reg-
endae imposuit, statimque Raetias et Noricum ab
hostibus vindicavit.
»[…] erhob ihn Kaiser Markus in die Rangklas-
se der Prätorier und stellte ihn an die Spitze der
1. Legion, worauf er unverzüglich die beiden Rä-
tien und Noricum von den Feinden befreite.«33
Naheliegend ist ein Kommando als legatus legionis I
Adiutricis, der in Brigetio-Komárno in Pannonien sta-
tionierten legio I Adiutrix34.
In Zusammenhang mit der römischen Gegenoffen-
sive ist wohl auch eine für die Römer positive Epi-
sode, die die Historia Augusta für Marc Aurel (SHA
Aur. 21, 10) verzeichnet, zu sehen. Die Passage,
die wohl auf nach Norden zurückkehrende Invaso-
ren bezogen werden darf, schildert wahrscheinlich
das erfolgreiche Abfangen von Markomannen an
der Donau sowie die Rückgabe ihrer Beute an die
Provinzialen:
Marcomannos in ipso transitu Danuvii delevit et
praedam provincialibus reddidit.
»Die Markomannen vernichtete er noch während
sie über die Donau überzusetzen versuchten,
und gab die Beute den Bewohnern der Provinz
zurück.«35
Lukianos, ein Satiriker und Zeitgenosse Marc Au-
rels, schreibt in seinem »Alexander von Abonutei-
chos« (Lukian. 48):
Ἐν δὲ τοῖς ἄλλοις ἓν τι καὶ μέγιστον τόλημα τοῦ
μιαροῦ ἀνδρὸς ἄκουσον. ἔχων γὰρ οὐ μικρὰν
ἐπίβασιν ἐπὶ τὰ βασίλεια καὶ τὴν αὐλὴν τὸν
Ῥουτιλιανὸν εὐδοκιμοῦντα, διαπέμπεται χρησμὸν
τοῦ ἐν Γερμανίᾳ πολέμου ἀκμάζοντος, ὃτε θεὸς
32 Übersetzung: Veh 1987, 249; vgl. Zwikker 1941, 150 f.
Anm. 2; 154; Böhme 1977, 166 Anm. 39; Rosen 1994, 87.
33 Übersetzung: Böhme 1977, 166 Anm. 40.
34 Kienast 2004, 152.
35 Übersetzung: Böhme 1977, 168 Anm. 47; vgl. Zwikker 1941,
180 f.
Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Titel
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Autor
- Christoph Hinker
- Verlag
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 344
- Schlagwörter
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321