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die auf der Annahme einer ›Pompeji-Prämisse‹
basieren und auf die funktionale Interpretation von
Befunden abzielen, taphonomische Prozesse nicht
berücksichtigen: »Analysis founded on the real
Pompeii premise ignore these formation processes
and attribute variability in house floor assemblages
exclusively to ›functional‹ or social causes.«151
Dass der Begriff mit besonderer Vorsicht zu gebrau-
chen ist und die angeführten Kriterien in der Praxis
kaum erfüllbar sind, zeigte zuletzt auch eine einge-
hende Studie über Aktivitätszonen des namenge-
benden Fundorts in Kampanien152. Mehrere Gründe
sprechen dagegen, die ›Pompeji-Prämisse‹ auf den
Brandhorizont der Insula XLI anzuwenden.
Die Brandschuttschicht der Periode II/II+ der
Insula XLI von Flavia Solva-Wagna ist in eini-
gen Bereichen durch jüngere antike und nachan-
tike Eingriffe, z. B. Gräben oder Gruben der Peri-
ode III (Haus II: G6, G12, G22, G25; Haus V: G51,
G52)153, gestört. Die Befunde der Räume E, G, I/1
und J können somit nicht als versiegelt betrachtet
werden. Die Entsorgung von Brandschutt in Grube
G32 spricht für die Durchführung gewisser Aufräu-
marbeiten. Diese Materialentnahmen, vermutlich
vorwiegend aus dem Brandschutt von Haus IV,
dürften einerseits nicht ohne eine gewisse Durch-
mischung des Brandschutts am originalen Depo-
nierungsort erfolgt sein und zeigen andererseits
durch die mit dem Schutt entnommenen Artefakte
die Unvollständigkeit von Inventaren der für Haus
IV definierten Aktivitätszonen bzw. Räume an. Die
Beinartefakte aus Grube G32 könnten aus den
in Raum P und Q angesiedelten Werkstätten von
Haus IV stammen (vgl. Kap. 10.2). Da die Grube
G32 nicht vollständig ausgegraben werden konnte,
muss offenbleiben, inwiefern weitere Artefakte aus
Inventaren von Haus IV, vielleicht auch Haus V,
durch die mögliche Deponierung in Grube G32 für
die Rekonstruktion von Inventaren der genannten
Häuser nicht zur Verfügung stehen.
Die Zusammensetzung des Fundmaterials der
Grube G21, insbesondere die Lage von Fragmen-
ten mehrerer deutlich sekundär verbrannter Gefäße
sowohl in der Grube als auch deren Streuung in
Bereichen außerhalb der Grube spricht gegen die
Annahme versiegelter Nutzungskontexte zumindest
im Bereich von Raum E sowie der benachbarten
Räume in Haus II (vgl. Kap. 10.1).
Falls die geäußerten Vermutungen über die mög-
liche Durchsuchung des Brandschutts nach Ver-
wertbarem (z. B. Metallgegenständen) zutrifft, kann
nicht mehr davon ausgegangen werden, dass der
vorliegende Befund vollständige ›Nutzungsinven-
tare‹ liefert.
151 Schiffer 1985, 38.
152 Allison 2004, 4 – 8.
153 Groh 1996, 221 f. Plan 5 – 6. Abgesehen von Beinfunden und einigen archäo-
botanischen Überresten fehlen Artefakte aus orga-
nischen Materialien im Fundspektrum aus dem
Brandhorizont. Sämtliche (leicht) brennbaren orga-
nischen Substanzen, wie z. B. Holz, Horn, Leder
oder Textilien, sind wohl entweder verbrannt und/
oder durch natürliche Formationsprozesse abge-
baut worden. Mögliche Inventare von Häusern und
Räumen sind deshalb von vornherein diesbezüglich
eingeschränkt.
Außerdem erscheint es durchaus möglich, dass im
Zuge des Brandes und dem damit verbundenen
Zusammenbruch von Dachstühlen Artefakte aus
diesen – zu welchen Zwecken auch immer – genutz-
ten Hausbereichen auf die Estriche und Installatio-
nen (z. B. Herde) der Räume darunter (annähernd
Straßenniveau) gestürzt sind. Eine Konzentration
von Amphorenfragmenten in einer Brandschicht in
South Shields wird beispielsweise entsprechend
gedeutet154. Möglicherweise über den ausgegra-
benen Räumen unter dem Dach vorübergehend
aufbewahrte oder vielleicht auch längerfristig gela-
gerte Artefakte müssen nicht in einem funktionalen
Zusammenhang mit dem jeweiligen Hausbereich
oder Raum ihrer Deponierung während des Bran-
des stehen; auf diese Weise in den Brandschutt
gelangte Funde könnten die Definition von Aktivi-
tätszonen verfälschen. Ferner ist nicht festzustel-
len, ob die räumliche Aufteilung des angenomme-
nen Bereichs unter dem Dach mit jener der Räume
darunter korrespondiert und mit deren Bewohnern/
Benutzern in direktem Zusammenhang steht.
Im Zusammenhang mit der Brandzerstörung der
Holzbauphase II des Vicus von Aquae Helveticae-
Baden weist C. Schucany darauf hin, dass die
Dachkonstruktion bei einem Brand dem Feuer stark
ausgesetzt gewesen sein musste155.
Auf gewisse grabungstechnisch bedingte Einschrän-
kungen bezüglich der Vollständigkeit der Funde aus
Haus IV und Haus V der Insula XLI wurde bereits in
Kapitel 5 »Quellenkritik« eingegangen (nicht ergra-
bene Stege, unvollständig freigelegte Räume etc.).
Die nähere Beschäftigung mit dem vorliegenden
Fallbeispiel eines Brandhorizontes der Insula XLI
von Flavia Solva-Wagna bestätigt durchaus die
bereits eingangs angeführten kritischen Bemer-
kungen R. Aschers. Er hatte bereits 1961 darauf
hingewiesen, dass die Vorstellung, archäologische
Befunde könnten eine exakte Momentaufnahme
vergangener Geschehnisse bieten, nicht zutreffend
ist156. Diese irrige Annahme einer Momentaufnahme
wurde von ihm als ›Pompeji-Prämisse‹ bezeichnet.
154 Hodgson 2005, 210.
155 Schucany 1996, 31.
156 Ascher 1961, 324.
Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Titel
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Autor
- Christoph Hinker
- Verlag
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 344
- Schlagwörter
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321