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als sicheres Indiz für eine Rücksichtnahme der
Fleischer auf die Bedürfnisse der Beinverarbeitung
gewertet werden, da ein Retuschieren von gering-
fügiger beeinträchtigten Rohstoffen auch durch den
Beindrechsler möglich war und durch die Schlach-
tung stärker in Mitleidenschaft gezogene Knochen
vor der Weiterverarbeitung durch den Beinschnit-
zer ausgeschieden werden konnten. In diesem
Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der
an einem weitgehend erhaltenen Skelett einer Kuh
mit Zerlegungsspuren aus Dangstetten rekonstru-
ierte Schlachtvorgang zeigt948, dass die von den
beinverarbeitenden Betrieben bevorzugten Kno-
chen (Metapodien, scapulae) abgesehen von den
Gelenkteilen von den Spuren der Zerlegung kaum
betroffen waren. Inwiefern dieses für das militäri-
sche Milieu augusteischer Zeit gültige Modell auch
für zivile fleischverarbeitende Betriebe der zweiten
Hälfte des 2. Jahr hunderts n. Chr. in Südostnoricum
als repräsentativ gelten kann, lässt sich mangels für
Vergleiche heranzuziehender Materialvorlagen aus
Flavia Solva-Wagna nicht beantworten.
Problematisch ist auch die Zuweisung einfacher
Sägespuren. Diese könnten sowohl vom weite-
ren Zerlegen von Tierteilen durch den Metzger als
auch von den Handwerkern der beinverarbeitenden
Werkstätte(n) stammen (vgl. Kap. 11.2.1). Tenden-
ziell wurden auch einfache Sägespuren, wie sie
z. B. an Kat. 551 oder Kat. 595 der vorliegenden
Tierreste festzustellen sind, auf die Produktion von
Beinartefakten bezogen949.
Nach der Entfernung von Haut als Rohstoff für
die Gerberei, Fleisch als Nahrung und der Entfer-
nung der Weichteile (Bänder, Knorpel, Sehnen
etc.)950 musste das Knochenmaterial zur Weiter-
verarbeitung in der Beinproduktion entfettet wer-
den. Das Absägen der Gelenkenden, die zur Fer-
tigung der in Insula XLI nachgewiesenen Artefakte
wenig geeignet waren, könnte vor oder nach dem
Produktionsschritt der Entfettung, die gewöhnlich
durch Kochen951 der Knochen zu erzielen ist, vor-
genommen worden sein. Der Arbeitsschritt des
Absägens von Knochenteilen, die für den weiteren
Herstellungsprozess nicht relevant waren, ist durch
Kat. 580 – 581, 583 und 587 – 588 nachgewiesen.
Die zweite unvollständige Sägespur auf der entlang
der Querachse abgetrennten Epiphyse Kat. 583
belegt vielleicht, dass dieser Arbeitsschritt noch
an ungereinigten Knochen frisch geschlachteter
Tiere vorgenommen wurde. Ungereinigte ›frische‹
Knochen waren zwar mit weniger Kraftaufwand
zu sägen, allerdings konnte die Diaphyse durch
die vorhandene rutschige Knochenhaut nicht prä-
948 Uerpmann 1977, 263 – 270 Abb. 1.
949 Dazu auch: Deschler-Erb 2012a, 116 Anm. 567.
950 Berke 1989, 889.
951 Dagegen: Deschler-Erb 1998, 94. 96. zis auf die gewünschte maximale Länge zugesägt
werden952, weshalb ein mehrmaliges Ansetzen der
Säge an verschiedenen Stellen erfolgt sein könnte.
Feil- und weitere Sägespuren an vorliegenden Bein-
artefakten zeigen jedoch, dass diese zumindest
nach den ersten gröberen Arbeitsschritten entfettet
wurden, da eine saubere Anwendung der entspre-
chenden Werkzeuge sonst nicht möglich gewesen
wäre953. Während nach den vorliegenden Befun-
den davon auszugehen ist, dass in Flavia Solva-
Wagna diese Arbeitsschritte bereits in der spezia-
lisierten Beinwerkstatt stattfanden, legt ein Befund
des zweiten Viertels des 2. Jahr hunderts n. Chr.
aus Korinth nahe, dass die Vorbereitung des Roh-
stoffes Bein zur weiteren Bearbeitung durch eine
Beinwerkstätte auch im Zuge der Fleischproduktion
durchgeführt werden konnte954. Das grobe Zusä-
gen von Langknochen ist in einer Werkstatt des
3. Jahr hunderts n. Chr. in Chartres durch eine abge-
sägte Epiphyse, die dem Nachweis durch Kat. 583
aus Insula XLI von Flavia Solva-Wagna entspricht,
belegt955. Weitere Parallelen für diese generelle
Technik der Rohmaterialaufbereitung beinver-
arbeitender Betriebe sind in Augusta Raurica-
Augst956, Gué-de-Sciaux957, Köln958, Pergamon959
und Saintes960 nachgewiesen. Das andere bein-,
geweih- und hornverarbeitende Werkstätten in Fla-
via Solva-Wagna auch mit Langknochen arbeiteten
und diese entsprechend zur Weiterverarbeitung vor-
zubereiten pflegten, zeigen Funde abgesägter Epi-
physen aus dem Bereich der Straße E am südöst-
lichen Stadtrand des Munizipiums961. Deutlich wird,
dass zur weiteren Produktion spezifischer Artefakte
die annähernd zylindrischen Mittelstücke von Röh-
renknochen (Diaphyse) sowie die abgeflachten Teile
der Schulterblätter benötigt wurden. Die Fertigung
der Artefakte erfolgt mithilfe verschiedener Werk-
zeuge962, deren Gebrauch nach charakteristischen
Spuren nachweisbar ist. In diesem Zusammenhang
wäre zwischen Werkzeugen, die das Werkstück
grob der gewünschten Form annähern, und sol-
chen, die am Ende der Fertigung eingesetzt wer-
den, zu differenzieren. Die Verwendung von Beilen
und Meißel zur möglichen Gewinnung handlicherer
Stücke von Röhrenknochen ist wie die Verwendung
von Messern in Betracht zu ziehen. Der Einsatz von
952 Peters 1998, 45 f. Anm. 43; 254.
953 Vgl. Gostenčnik 2005, 298. 323 f.
954 Reese u. a. 1987, 261.
955 Canny – Yvinec 2008, 70 Abb. 9, a.
956 Schmid 1972, 43 f. Abb. 6.
957 Bertrand – Salin 2010, 374 Abb. 12.
958 Berke 1989, 889 Abb. 13.
959 von den Driesch – Boessneck 1982, 572 Abb. 10; 574
Abb. 11.
960 Salin – Bertrand 2010, 401 Fig. 17, Abb. A–B.
961 Lang 2008, 134.
962 Crummy 1981, 283.
Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Titel
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Autor
- Christoph Hinker
- Verlag
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 344
- Schlagwörter
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321