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Sägen wurde bereits im Zusammenhang mit der
Vorbereitung von geeigneten Werkstücken erwähnt.
Die weitere Verwendung von Sägen ist an verschie-
denen Leisten und Verkleidungsplatten sichtbar. Die
Oberfläche einiger Artefakte zeigt grobe Spuren, die
wohl von der groben Vorbereitung dieser Flächen
mit einer Raspel stammen. In diesem Zusammen-
hang ist auf die auf der Leiste Kat. 521 sichtbaren,
nach Montage der Abbildung auf Tafel 39 parallelen
vertikalen Spuren hinzuweisen. Diese sind erha-
ben und unterscheiden sich auch durch die grö-
ßere Breite von den feineren negativen Spuren der
gegenüberliegenden Seite des Werkstücks. Wäh-
rend die feinen negativen Spuren von der Bearbei-
tung mit einer Raspel stammen dürften, könnten
die gröberen erhabenen und parallel zu den Kon-
turen des Werkstücks verlaufenden Grate vielleicht
für den vorhergehenden Einsatz eines (Zahn-)Mei-
ßels (?) oder ähnlichen Werkzeugs sprechen. Die
genannten Werkzeuge sind eher dem Beginn der
Fertigung eines Artefakts zuzurechnen. Schließlich
gilt es festzuhalten, dass zwischen der Verwen-
dung eines Werkzeugs zum Schaben und eines
Werkzeugs zum Zerspanen kaum zu unterschei-
den ist, da beide parallele Grate verursachen, die
in Folge des Herstellungsprozesses abgefeilt oder
abgeschliffen und damit undeutlich bis unkenntlich
wurden. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzu-
weisen, dass sich an Beinartefakten häufig nur noch
Herstellungsspuren beobachten lassen, die dem
jeweiligen Produktionsstand des Artefakts innerhalb
der Produktionskette entsprechen. Glatt geschlif-
fene Artefakte waren vielleicht auch geschabt oder
zerspant worden, die Spuren dieses Herstellungs-
schrittes sind jedoch komplett beseitigt und deshalb
am betreffenden Artefakt nicht mehr nachzuvollzie-
hen. Auch für die Bestimmung des verwendeten
Rohmaterials gilt: Je weiter der Produktionsprozess
eines Beinartefakts fortgeschritten ist, desto weni-
ger ist es möglich, den zur Erzeugung verwende-
ten Knochen hinsichtlich Tierart oder Skelettregion
näher zu bestimmen. Dies gilt umso mehr für die
aus Insula XLI von Flavia Solva-Wagna vorliegen-
den kleinformatigen Beinartefakte.
Zur weiteren Bearbeitung und Fertigstellung wur-
den Drehbank, Kreisaugenbohrer bzw. -zirkel sowie
Schleif- und Polierwerkzeuge verwendet. Die Griffe
Kat. 509 – 510 wurden auf einer Dreh- oder Drech-
selbank gedrechselt963. Beide Artefakte weisen
charakteristische Ausnehmungen für den Dorn und
den Reitnagel zum Einspannen auf der Dreh- oder
Drechselbank auf. Verschiedene Artefakte zeigen
deutliche Spuren vom Abschleifen und anschließen-
den Polieren964. Jene Stücke, die sorgfältig poliert
963 Allgemein zur Beindrechslerei: Deschler-Erb 1998, 98 – 101;
Gostenčnik 2005, 290. 308 – 318.
964 Gostenčnik 2005, 322 f. wurden, wie z. B. Kat. 510, zeigen sehr glatte und
glänzende Oberflächen. Spuren der vorhergehen-
den Bearbeitung durch Feilen sind deshalb an die-
sen Artefakten mitunter nicht mehr nachzuweisen.
Als Schleifmittel könnten sowohl Sand verschiede-
ner Körnung als auch Schleifsteine eingesetzt wor-
den sein. Schleifsteine sind im Fundmaterial der
Periode II/II+ zwar nachgewiesen, stammen jedoch
aus Haus II (vgl. Kap. 10; 11.1.5). Zum Polieren
könnten Leder und/oder Stoffe sowie Öle verwendet
worden sein, die als organische Substanzen im vor-
liegenden archäologischen Befund abgesehen vom
indirekten Beleg durch das Henkelfragment einer
Amphore vom Typ Dressel 6B und weiteren Ampho-
renfragmenten (vgl. Kap. 11.1.2.5.1) nicht nach-
weisbar sind. Von den aus Insula XLI vorliegenden
Amphorenfragmenten lässt sich jedoch lediglich
Kat. 626 Raum P zuweisen und der Inhalt dieser
Amphore darüber hinaus nicht bestimmen. Die
Oberflächenbehandlung durch Polieren konnte nur
bei den Artefakten Kat. 508, 510, 513 – 515, 540 und
578 sicher festgestellt werden. Diese Artefakte sind
deshalb bezüglich der Arbeitsschritte dem Ende der
Produktionskette zuzuweisen.
Die Färbung von Beinartefakten ist primär auf den
vorliegenden Brandbefund zurückzuführen (vgl.
Kap. 7). Intentionale Färbung, die in Augusta Rau-
rica-Augst965 und am Magdalensberg966 an Kno-
chenmaterial beobachtet werden konnte, liegt nicht
vor. Die partielle grünliche Färbung des Beinarte-
fakts Kat. 584 kann nicht als eindeutiger Beleg für
ein aus verschiedenen Materialien (Bein, Kupferle-
gierung) hergestelltes Artefakt bewertet werden, da
es sich um ein Halbfabrikat oder Abfallstück handelt.
Andererseits könnte die wohl durch die Zusammen-
setzung des umgebenden Bodenmilieus bewirkte
Färbung des Artefakts auf die gemeinsame Ver-
arbeitung von Bein und Bronze (und gemeinsame
Entsorgung von entsprechendem Abfall) in (bzw.
vor) Raum Q hindeuten.
Die Produktion einfacher Beinnadeln wie Kat. 507
ist für die Werkstatt in Insula XLI nicht nur anhand
dieses Fragments nachvollziehbar. Bei Artefakten
wie Kat. 553 könnte es sich um zugerichtete Roh-
stücke für die Weiterverarbeitung zu Beinnadeln
handeln, wie ein Befund aus Samarobriva-Amiens
nahelegt967. Der ableitbare Produktionsprozess
würde die Verarbeitung von Röhrenknochen vor-
sehen. Nach dem Absägen der Epiphysen wurde
der Knochen der Länge nach in mehrere lange
Streifen gespalten, aus denen jeweils Nadeln, stili
etc. geschnitzt, geraspelt und gefeilt werden konn-
ten. Parallelen zum Nachweis dieser Produktions-
965 Deschler-Erb 1998, 96.
966 Gostenčnik 2005, 318 – 322.
967 Vgl. Thuet 2008, 41 Abb. 5.
Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Titel
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Autor
- Christoph Hinker
- Verlag
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 344
- Schlagwörter
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321