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Codex Vindobonensis Palatinus 3255* | 153
Giovanni Battista De Rossi648 Fra Giocondo zuschrieb (was aber von jüngeren
Forschern in Abrede gestellt wurde649). Er befasste sich daraufhin mit der Frage, ob
sich hinter dem Pseudonym Publius Licinius ebenfalls ein sonst unbekannter Schüler
des Pomponius Laetus oder Giocondo selbst verbirgt. Nachdem Mommsen dargelegt
hatte, dass es sich um zwei verschiedene Personen handeln muss650, ging es in der
Forschungswelt vor allem darum, ob die relevante Sammlung im Stuttgarter Codex
von Giocondo oder von Licinius stammt bzw. wer wessen Sammlung abgeschrieben
hat. Nachdem Erich Ziebarth 1923 sehr vehement die Meinung vertreten hatte, dass
Publius Licinius nicht zögerte, „adnotationes Iucundi more illius aetatis verbotenus
transscribere“651, publizierte Christian Hülsen ein Jahr später die Ergebnisse seiner
langjährigen Forschungen.652 Unter Einbeziehung zweier weiterer Codices aus Darm-
stadt und Uppsala, die ebenfalls eine Abschrift der relevanten Sammlung ent-
halten653, gelangte er zur völlig entgegengesetzten Schlussfolgerung: Publius
Licinius, Schüler von Pomponius Laetus und möglicherweise Angehöriger der
römischen Familie De Lallis, hat in drei Schritten eine Inschriftensammlung
zusammengestellt: Während er am Beginn seiner Tätigkeit um 1480 selbst lateinische
und auch griechische Inschriftoriginale kopierte, erweiterte er seine Sammlung
zunächst mit stadtrömischen Inschriften, dann mit Denkmälern aus Gegenden
außerhalb Roms. Diese entnahm er älteren, auf Ciriaco d’Ancona zurückgehenden
Sammlungen.654 Nach Hülsen wurde das gesamte Werk bald nach 1480 Francesco
Porcari gewidmet und mehrfach kopiert. Eine dieser Kopien verwendete Fra
Giovanni Giocondo vor 1484 als Basis für seine älteste, heute als Codex Veronensis 270
vorliegende Sammlung.655
Auf Basis der von Hülsen angefertigten Tabelle der stadtrömischen Inschriften656 und
von Handschriften-Mikrofilmen konnte ein detaillierter Vergleich mit der im Wiener
Codex vorliegenden Licinius-Sammlung durchgeführt werden. Dieser erbrachte das
interessante Ergebnis, dass zwischen der im CVP 3255* enthaltenen Sammlung und
der Stuttgarter Abschrift im CS hist. 4° 316, fol. 61r–155r ein überaus enger Zu-
sammenhang gegeben ist.
648 De Rossi, ICUR II 1, S. 396a.
649 Silvagni, ICUR N.S. I, S. XXXVb, mit Bezug auf Ziebarth, De antiquissimis syllogis 226: „At nondum
est certum an Licinio cod. Vaticus quoque [sc. 3616] sit referendus.“
650 Mommsen, Nuova silloge epigrafica 88.
651 Ziebarth, De antiquissimis syllogis 226.
652 Hülsen, Sillogi epigrafiche.
653 ULB Darmstadt, Cod. 2533 bzw. UB Uppsala, Cod. C 49. Zur erstgenannten Handschrift vgl. auch
Paul Oskar Kristeller, Iter Italicum III: Alia Itinera I. Australia to Germany, Leiden 1983, 515–516.
654 Vgl. auch Mommsen, Nuova silloge epigrafica 88.
655 Wenn man die korrigierte Datierung des CT 3569 (früher „Codex Gar“) beachtet – 1480, nicht 1484
(siehe Kap. 3.4) – muss Giocondo seine Tätigkeit früher begonnen haben. Dies steht aber nicht im
Widerspruch zu Hülsens Ergebnissen. Es bedeutet nur, dass sich sowohl Publius Licinius als auch
Giovanni Giocondo im Jahre 1480 mit der Sammlung römerzeitlicher Inschriften beschäftigt
haben.
656 Hülsen, Sillogi epigrafiche 149–157.
Der sogenannte Antiquus Austriacus und weitere auctores antiquissimi
Zur ältesten Überlieferung römerzeitlicher Inschriften im österreichischen Raum
- Title
- Der sogenannte Antiquus Austriacus und weitere auctores antiquissimi
- Subtitle
- Zur ältesten Überlieferung römerzeitlicher Inschriften im österreichischen Raum
- Author
- Doris Marth
- Publisher
- Holzhausen Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2016
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-902976-43-7
- Size
- 21.4 x 30.2 cm
- Pages
- 572
- Keywords
- Antiquus Austriacus, Austria, Epigraphy, Humanism, Inscriptions, Manuscript Tradition, Roman Period, Antiquus Austriacus, Epigraphik, Humanismus, Inschriften, Österreich, Römerzeit, Überlieferung
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- 1 Zur historischen Entwicklung der Überlieferung lateinischer, insbesondere norischer Inschriften von den Anfängen bis zum Ende des 14. Jahrhunderts 19
- 1.1 Anfänge und Vorstufen der Überlieferung lateinischer Inschriften 19
- 1.2 Anfänge und Vorstufen der Überlieferung norischer Inschriften 23
- 1.3 Berchtold von Kremsmünster und die älteste Abschrift einer norischen Inschrift 26
- 1.4 Die Inschrift CIL III 5630 im Codex membraneus LIV des Stiftes Lambach 36
- 2 Neue Impulse aus Italien: Humanismus und Renaissance als „Geburtsphase“ der lateinischen Epigraphik 40
- 3 Die Ausbreitung und Etablierung humanistischen Gedankengutes im Ostalpenraum aus epigraphischer Sicht 56
- 4 Augustinus Prygl Tyfernus und die norischen Inschriften 99
- 5 Der sogenannte Antiquus Austriacus: Mommsens Pseudonym für den Verfasser der ältesten Sammlung norischer Inschriften 139
- 6 Die Wiener Handschrift CVP 3255* 147
- 7 Der Codex Pragensis XIII G 14 der Národní Knihovna, Prag 162
- 7.1 Das Verhältnis zwischen CP XIII G 14 und CVP 3255*: Eine Inschriftensammlung und ihr Register 170
- 7.2 Folgen aus dem Zusammenhang CVP 3255* – CP XIII G 14 174
- 7.3 Johannes Fuchsmagen und der CP XIII G 14 182
- 7.4 Zur Frage nach den Quellen für den CP XIII G 14 198
- 7.5 Codex Pragensis XIII G 14: Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse und Gesamtbetrachtung 221
- 8 Konrad Peutinger und die norischen Inschriften 228
- 8.1 Peutingers handschriftliche Inschriftensammlungen 230
- 8.2 Johannes Fuchsmagen als Peutingers Gewährsmann 244
- 8.3 Die „Antiquus-Austriacus-Inschriften“ und die Inschriften von Augustinus Prygl Tyfernus in Peutingers 2° Cod. H 24 246
- 8.4 Zusammenfassung: Der Wert von Peutingers Handschriften für die Überlieferung norischer Inschriften 264
- 9 Johannes Choler und seine Inschriftensammlung 265
- 10 Die „Inscriptiones Sacrosanctae Vetustatis“ von Petrus Apianus und Bartholomaeus Amantius 295
- 10.1 Zur Intention und Gliederung des Werkes sowie zur Nennung seiner Quellen 300
- 10.2 Johannes Choler und die Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 301
- 10.3 Die Inschriftensammlungen von Konrad Peutinger und Augustinus Prygl Tyfernus – Quelle für die Inscriptiones sacrosanctae vetustatis? 302
- 10.4 Johannes Aventinus als Quelle für die Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 304
- 10.5 Der Codex Pragensis XIII G 14 und sein Verhältnis zu den Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 305
- 10.5.1 Das Verzeichnis epigraphischer Abkürzungen im CP XIII G 14 und bei Apianus/Amantius 307
- 10.5.2 Der CP XIII G 14 als Quelle für norische (und oberpannonische) Inschriften bei Apianus/Amantius 311
- 10.5.3 Konsequenzen aus dem unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem CP XIII G 14 und den Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 330
- 10.6 Parallel verwendete Quellen und mehrfach überlieferte Inschriften bei Apianus/Amantius 337
- 10.7 Zusammenfassende Betrachtungen zur Arbeitsweise von Apianus/ Amantius und Gesamtbewertung der Inscriptiones sacrosanctae vetustatis 345
- 11 Johannes Fuchsmagen und seine epigraphische Sammeltätigkeit 347
- 12 Anhang: Tabellen zur Überlieferung norischer und oberpannonischer Inschriften 376
- Einleitende Bemerkungen und Hinweise zur Benützung 376
- Tab. 12.1: Inschriften bei Paolo Santonino, Cod. Vat. Lat. 3795 379
- Tab. 12.2: Inschriften, die von Augustinus Tyfernus und vom sogenannten Antiquus Austriacus überliefert werden 380
- Tab. 12.3: Im CVP 3255* und CP XIII G 14 enthaltene Inschriften 386
- Tab. 12.4: Inschriften in den Codices von Augustinus Tyfernus im Vergleich mit dem CP XIII G 14 395
- Tab. 12.5: Inschriften-Erstbelege bei „Antiquus Austriacus“, Augustinus Tyfernus und im CP XIII G 14 415
- Tab. 12.6: Inschriften im 4° Cod. H 26 der SuStBA („Picturae“) im Vergleich mit dem CP XIII G 14 425
- Tab. 12.7: Inschriften in Peutingers 2° Cod. H 23 im Vergleich mit dem CP XIII G 14 427
- Tab. 12.8: Inschriften in Peutingers 2° Cod. H 24 im Vergleich mit dem CP XIII G 14 428
- Tab. 12.9: Inschriften in Cholers CLM 394 im Vergleich mit Peutingers 2° Cod. H 24 und CP XIII G 14 437
- Tab. 12.10: Inschriften bei Apianus/Amantius im Vergleich mit Augustinus Tyfernus und Peutingers 2° Cod. H 24 443
- Tab. 12.11: Inschriften bei Apianus/Amantius im Vergleich mit dem CP XIII G 14 475
- Tab. 12.12: „Antiquus-Austriacus-Inschriften“ bei Peutinger, Choler, CP XIII G 14/Fuchsmagen und Apianus/Amantius 490
- Abkürzungs- und Siglenverzeichnis 503
- Quellen- und Literaturverzeichnis 508
- Abbildungsnachweis 539
- Indices 542
- Inschriftenindex 542
- Orts- und Personenindex 548