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1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat
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âSpeerspitze deutschnationaler Orientierungâ gelesen wurde,197 waren realer
Anlass fĂŒr Hanslicks Polemiken. Dass seine journalistischen Zeitungskritiken
mit der besprochenen âGermanisierungâ von DvoĆĂĄk und Smetana sowie einer
damit direkt verknĂŒpften Devaluation von national gefĂ€rbten Idiomen â die
dem idealen Konzept der âuniversalen Musikspracheâ verpflichtet war â kultur-
politische Konnotationen demonstrieren, scheint folglich logisch.198
Hanslicks ausdrĂŒcklich kontextfreie MusikĂ€sthetik â die im bekann-
ten Leitspruch kulminiert: âDie Ă€sthetische Betrachtung kann sich auf keine
UmstĂ€nde stĂŒtzen, die auĂerhalb des Kunstwerks selbst liegenâ (VMS, S. 108)
â war fĂŒr dessen spĂ€tere Rezeption prĂ€gend. Wie Nicole Grimes als Heraus-
geberin von Rethinking Hanslick prĂ€gnant darlegte, lĂ€sst sich fĂŒr die deutsch-
sprachige Musikwissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg eine diskrepante
Beurteilung von Hanslicks TĂ€tigkeit zeigen, welche genau dieser politischen
Konstruktion verpflichtet war: Die westdeutsche Musikforschung, die von
Hanslicks Paradigma entscheidend beeinflusst war und welche dessen positi-
vistische Programmatik sowie seine theoretische Nobilitierung von âreinerâ
Musik teilte, sollte Hanslicks VMS-Traktat weitgehend zustimmend aufneh-
men.199 Dieses Urteil, das als schematische Beschreibung charakterisiert wer-
den mĂŒsste und sicher nicht allen westdeutschen Wissenschaftlern vollauf
gerecht wird, traf aber nicht die ostdeutsche Forschung, die ein marxistisches
Kunstkonzept befĂŒrwortete, das die möglichst intensive Beziehung von Musik
und âWeltâ, von Komposition und Wirklichkeit, von Kunstwerk und Gesell-
schaft universell postulierte. Wie Mark Evan Bonds betont: âThe Cold War
enhanced the prestige of âabsoluteâ music still further. Eastern bloc regimes
denounced âempty formalismâ in all the arts, including music, and the West
embraced the idea of âpureâ music with corresponding zeal.â200 Dieser Disput,
aber ĂŒberragend der Genius Richard Wagner! Heil dir, Plato! Heil dir, Kant! Heil dir, Schopen-
hauer! Heil euch Genien alle! Dreimal Heil aber dir, Richard Wagner!â
197 Stachel, Ethnischer Pluralismus (wie Anm. 95), S. 346. Siehe hierzu primÀr: William
J. McGrath, Dionysian Art and Populist Politics in Austria, New Haven/London 1974.
198 Yoshida, âMusical Cultureâ (wie Anm.Â
39), S.Â
197f.; Stanislav Tuksar, âEduard Hanslick,
Franjo Ksaver KuhaÄ et alii and the âNational-Internationalâ Relationship in the Croatian
Fin-de-SiĂšcle Musical Cultureâ, in IRASM 29/2 (1998), S.Â
155â164; ders., âFĂŒr und gegen
Hanslick. Musiktheorie und -praxis in Zagreb von 1890 bis 1918â, in Ambivalenz des Fin de
siĂšcle: Wien â Zagreb, hrsg. von Damir BarbariÄ und Michael Benedikt, Wien/Köln/
Weimar 1998, S. 172â198.
199 Zur deutschsprachigen Musikwissenschaft im âKalten Kriegâ siehe vor allem: James
Hepokoski, âThe Dahlhaus Project and Its Extra-Musicological Sourcesâ, in 19thCM 14/3
(1991), S. 221â246. FĂŒr die verbreitete Assoziation von Hanslicks VMS-Traktat mit dem
musikalischen Strukturalismus sowie einer damit verknĂŒpften Musikanalyse vgl.
Kap. 4.2.
200 Bonds, Music as Thought (wie Anm. 77), S. 113. FĂŒr die gröĂeren Kontexte siehe etwa
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Title
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Subtitle
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Author
- Alexander Wilfing
- Publisher
- Hollitzer Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Size
- 16.0 x 24.0 cm
- Pages
- 434
- Keywords
- Eduard Hanslick, Formalismus, MusikĂ€sthetik, Musik und GefĂŒhl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Category
- Biographien
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die âidealistischeâ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die âösterreichischeâ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang â Hanslicks âtönend bewegte Form[en]â 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik â Ăsthetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ăbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ăbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone MusikÀsthetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ăbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang â Hanslickâsche Rezensionen in Dwightâs Journal of Music 176
- 4. Was ist Ă€sthetischer Formalismus? â Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- AbkĂŒrzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423