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1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat
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merkwürdigsten ist es, daß sich in Hanslicks Schriften verständnisvolle musi-
kalische Analysen finden die jeder formalistischen Theorie ausgesprochen zu-
widerlaufen.“219 Kneplers Ansicht teilt auch Zofia Lissa, die ebenfalls festhielt,
dass Hanslicks Einstellung niemals uniform war und man bei ihm selbst einige
inhaltliche Deutungen von ‚reiner‘ Musik finden könnte,220 was aus Fahlbuschs
Perspektive darauf beruhe, dass ihm die „lebendige Musik […] bisweilen be-
wußte oder unbewußte Zugeständnisse“ abgerungen hat.221 Dass diese angeb-
lichen Divergenzen von Kritik und Ästhetik bei Hanslick, welche kontrovers
diskutiert wurden, auf dem konsequenten Missverstehen von Hanslicks Me-
thodik basieren dürften und somit keinen inhärenten Widerspruch in Hans-
licks Musikbild darstellen, ist von obigen Autoren durchweg übersehen wor-
den (Kap. 2.2).
Wenn demnach konstatiert werden konnte, dass Hanslicks Musikkritik von
der marxistischen Musikforschung positiv erörtert wurde, da sie die absolute
Isolierung des ‚autonomen‘ Kunstwerks von ‚externen‘ Parametern durch-
brach, ist VMS aus genau diesen Gründen ablehnend behandelt worden. Für
die andere Hälfte der deutschsprachigen Musikwissenschaft galten jedoch kon-
träre Prämissen: Dahlhaus war als der bedeutendste Repräsentant der west-
deutschen Musikforschung nämlich bestrebt, den ‚klassischen‘ Musikkanon
vor marxistischer Ideologiekritik sowie einer „sociopolitical interpretation“
abzuschirmen,222 welche einen „palpable threat to the integrity of the disci-
pline“ darstellte.223 Dahlhaus’ Programm hat als methodisches Nebenprodukt
auch eine intensivere Erforschung von Hanslicks VMS-Traktat begünstigt, die
kritische Tätigkeit Hanslicks hierbei jedoch aus den vorstehend angeführten
Beweggründen weitgehend übergangen.224 Wie Grimes prägnant resümiert:
„Hanslick’s hermeneutic descriptions of music – be they poetic, sociopolitical,
or even nationalistic – fit less comfortably in his system than a discussion of the
formalist aspects of ‚Vom Musikalisch-Schönen‘.“225 Grimes konnte durch sol-
che musikpolitische Beobachtungen die durchaus praktische Bedeutung einer
Eduard Hanslick, hrsg. von Norbert Tschulik, Wien 1965, gingen dieser nämlich deutlich
voraus.
219 Knepler, Musikgeschichte (wie Anm. 207), Bd. 2, S. 687.
220 Lissa, Fragen der Musikästhetik (wie Anm. 202), S. 332.
221 Fahlbusch, Musikkritiken (wie Anm. 218), S. 16.
222 Hepokoski, „Dahlhaus Project“ (wie Anm. 199), S. 222.
223 Shreffler, „Berlin Walls“ (wie Anm. 206), S. 499.
224 Zu Dahlhaus’ Wirkung sowie seiner prinzipiellen Methodologie vgl.: Carl Dahlhaus und
die Musikwissenschaft. Werk, Wirkung, Aktualität, hrsg. von Hermann Danuser, Peter Gülke
und Norbert Miller, Schliengen 2011.
225 Grimes/Donovan/Marx, Rethinking Hanslick (wie Anm. 4), S. 4.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Title
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Subtitle
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Author
- Alexander Wilfing
- Publisher
- Hollitzer Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Size
- 16.0 x 24.0 cm
- Pages
- 434
- Keywords
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Category
- Biographien
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423