Page - 72 - in Re-Reading Hanslick's Aesheticts - Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
Image of the Page - 72 -
Text of the Page - 72 -
1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung
72
tanz der ‚unendlichen Melodie‘ kompensiere, mit folgenden Worten beurteilte:
„Die Farbe ist ihnen alles, der musikalische Gedanke nichts“,274 schrieb Nietz-
sche analog: „Die Farbe des Klanges entscheidet hier; was erklingt, ist bei-
nahe gleichgültig.“275 Während Nietzsche dieses Diktum über Wagner in der
gleichen Passage auf die Formel bringt: „Unendlichkeit, aber ohne Melodie“,
wurde dieses Phänomen von Hanslick als „melodisches Nervenfiber“ bezeich-
net, das nur ein andauerndes Melodisieren „in ewigen Trugschlüssen“ wäre,
aber kein „selbstständig melodiöses, rhythmisch gegliedertes“ Musikthema
nach sich ziehe:276 die ‚unendlichen Melodie‘ ist für ihn „unausgesetzt wogen-
des Moduliren“,277 „knochenlose Ton-Molluske“,278 „Unding“ (VMS, S. 70).
Der Wiener Kritiker befand hierbei auch, dass sich bei Wagner ein „starkes,
eigenartiges, complicirtes Talent“ eröffne, welches jedoch durch dessen „Natur
und Wirkung“ keineswegs generalisiert werden könnte,279 da er keine tatsäch-
liche musikalische Befähigung – für ihn: die originelle Schöpfung von autar-
ken Melodien – aufweise, aber doch andere Vorzüge besitze, die die „ihm nur
schwer erreichbaren melodischen Reize aufwiegen konnten“: „So bildet denn
Wagner den ‚Uebelstand‘ zum System um, machte aus einem einge standenen
Mangel ein ästhetisches Gebot.“280 Bei Nietzsche erscheint dann diese recht
zurückhaltende Stellungnahme noch wesentlich pointierter, indem dieser
Wagners Theorie ironisch wiedergibt: „Alles, was Wagner nicht kann, ist ver-
werflich. Wagner könnte noch Vieles, aber er will es nicht, – aus Rigorosität
im Princip. Alles, was Wagner kann, wird ihm niemand nachmachen, hat ihm
Keiner vorgemacht, soll ihm Keiner nachmachen … Wagner ist göttlich …“281
Eger hat die offenkundigen argumentativen Ãœberschneidungen von Hans-
lick und Nietzsche oftmals erörtert und konnte zeigen, dass Nietzsches Ableh-
nung von Wagners Konzept zumindest teilweise von Hanslicks Schriften inspi-
riert gewesen war.282 Eger hatte dabei jedoch zugleich versäumt, für Nietzsches
274 Eduard Hanslick, Die moderne Oper 7. Fünf Jahre Musik (1891–1895), Berlin 1896, S. 179.
275 Friedrich Nietzsche, Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe, hrsg. von Giorgio Colli und
Mazzino Montinari, Berlin/New York ²1999, Bd. 6, S. 24.
276 Eduard Hanslick, Die moderne Oper 1. Kritiken und Studien, Berlin 1875, S. 310.
277 Hanslick, Moderne Oper 3 (wie Anm. 81), S. 314f.
278 Hanslick, Moderne Oper 1 (wie Anm. 276), S. 303.
279 Hanslick, Moderne Oper 7 (wie Anm. 274), S. 63.
280 Hanslick, Moderne Oper 3 (wie Anm. 81), S. 366. Zu den notierten Parallelen siehe etwa
auch: Wilfing, „Richard Wagner“ (wie Anm. 21), S. 164, 168 und 170.
281 Nietzsche/Colli/Montinari, Sämtliche Werke (wie Anm. 275), Bd. 6, S. 35.
282 Manfred Eger, „Zum Fall Wagner/Nietzsche/Hanslick“, in Entdecken und Verraten. Zu
Leben und Werk Friedrich Nietzsches, hrsg. von Andreas Schirmer und Rüdiger Schmidt,
Wien/Köln/Graz 1999, S. 111–131, hier S. 118–128; Nietzsches Bayreuther Passion, Freiburg
2001, S. 319–334; „Nietzsches Ausfälle mit Hanslicks Einfällen. Fakten und Fatalitäten
um den ‚Fall Wagner‘“, in Antonicek/Gruber/Landerer, Hanslick zum Gedenken (wie
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Title
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Subtitle
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Author
- Alexander Wilfing
- Publisher
- Hollitzer Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Size
- 16.0 x 24.0 cm
- Pages
- 434
- Keywords
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Category
- Biographien
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423