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2. These und Exkurs: Hanslicks Methodik – Ästhetik versus Kritik
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der Neoklassizismus und die Dodekaphonie aus der ersten Hälfte des 20. Jahr-
hunderts hinlänglich aufzeigten, dass Hanslicks VMS-Traktat im Vergleich
zu Wagners Schriften als zeitgemäße Konzeption betrachtet werden könn-
te (Kap. 1.5),311 blieb diese reservierte Bewertung Hanslicks bis in die späten
1960er Jahre nahezu bruchlos erhalten. Dabei waren jedoch die rezeptiven
Vorzeichen diametral umgekehrt: Nach den verstörenden Erfahrungen mit der
nazistischen Musikkritik und der ideologischen Verketzerung von modernen
Musikstilen (Jazz, Songstil, Atonalität etc.) war man bei der normativen Be-
sprechung von ‚Neuer Musik‘ generell befangen. Diese Lehre aus dem ‚Dritten
Reich‘, die eine defensive Musikkritik nach sich zog, die jegliche negative Be-
urteilung von neuartigen Musikstücken suspendierte, um eine nachträgliche
Wider
legung antizipativ abzuwehren, wurde dann auch mit der Wortbildung
‚Hanslick-Komplex‘ belegt,312 die die entsprechenden Diskussionen der 1960er
Jahre weitgehend bestimmte.313
Zum gleichen Zeitpunkt wurde aber auch eine posthume Restitution Hans-
licks zu einem immer stärkeren Anliegen: So trat etwa Weigel im Jahr 1965
für die erneute Publikation der Hanslick’schen Rezensionen ein, die erst eine
adäquate Bewertung seiner gesamten Musiksicht gestatten würde.314 Clemens
Höslinger hat eine derartige kritische Ausgabe beinahe zeitgleich gefordert,315
die auch noch Sponheuer als ein „dringendes Desiderat“ betrachtete.316 Eine
solche wurde aber erst seit den 1990er Jahren von Dietmar Strauß besorgt,
wobei selbige jedoch aufgrund mangelnder Förderungen momentan einge-
stellt ist.317 Noch Greys Artikel im New Grove (2001), der – wie Gooley richtig
betont – zahlreiche Vorurteile bezüglich Hanslicks Schriften kritisch benennt,
kann eine weiterhin verbreitete Bewertung Hanslicks als „narrow, pedantic,
311 Strauß, „Musik der Zukunft“ (wie Anm. 243), S. 413; Bonds, Music as Thought (wie
Anm. 77), S. 113; ders., Absolute Music (wie Anm. 31), S. 173–183.
312 Dieser Begriff findet sich etwa bei: Carl Dahlhaus, „Vom Elend der Musikkritik“, in Carl
Dahlhaus. Gesammelte Schriften, hrsg. von Hermann Danuser, Laaber 2001, Bd.Â
2, S.Â
77–84,
hier S.Â
79; Tschulik, Schriften Hanslick (wie Anm.Â
218), S.Â
5; Helmut A. Fiechtner, „Öster-
reich“, in Symposion für Musikkritik, hrsg. von Harald Kaufmann, Graz 1968, S. 81. Siehe
aber auch noch: Lutz Lesle, Notfall Musikkritik, Wiesbaden 1981, S. 140.
313 Wilfing, „Richard Wagner“ (wie Anm. 21), S. 156f. Für Hanslicks Bewertung in den
1950ern und 1960ern vergleiche prinzipiell: Hans Weigel, „Eduard Hanslick. Eine Ehren-
rettung“, in Neues Forum – Österreichische Monatsblätter für kulturelle Freiheit 13 (1966),
S. 413–418.
314 Hans Weigel, Apropos Musik. Unsystematische und laienhafte Versuche eines Liebhabers zur
Heranführung an die Tonkunst in der zweiten Person Einzahl mit 18 imaginären Porträts von Hans
Fronius, Zürich/Stuttgart 1965, S. 110.
315 Höslinger, „Thema Hanslick“ (wie Anm. 25), S. 543.
316 Sponheuer, Kunst und Nicht-Kunst (wie Anm. 61), S. 145.
317 Strauß, „‚Eigentlich ein Skandal …‘“ (wie Anm. 73).
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Title
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Subtitle
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Author
- Alexander Wilfing
- Publisher
- Hollitzer Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Size
- 16.0 x 24.0 cm
- Pages
- 434
- Keywords
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Category
- Biographien
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423