Page - 100 - in Re-Reading Hanslick's Aesheticts - Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
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2. These und Exkurs: Hanslicks Methodik – Ästhetik versus Kritik
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der Verfasser […] häufig die Worte ‚Ausdrücken‘, ‚Schildern‘, ‚Darstellen‘ von
den Tönen u. dgl. arglos gebraucht, und man darf sie wohl gebrauchen, wenn
man sich ihrer Uneigentlichkeit streng bewußt bleibt, d.h. ihrer Beschränkt-
heit auf symbolischen und dynamischen Ausdruck“ (VMS, S. 63f.).392 Hans-
licks Argument scheint jedoch keinesfalls vollständig, da er sich auch bei inst-
rumentalen Kompositionen immer wieder affektiver Begriffe bediente, wenn
etwa der erste Satz der 3. Symphonie Beethovens für ihn von „schmerzlicher
Resignation“393 charakterisiert ist und ein Stück Brahms’ als „feurig bis zur
Heftigkeit, bald trotzig herausfordernd, bald schmerzlich klagend“394 gehört
wird.395 Strauß hat jedoch bereits bemerkt, dass Hanslicks Metaphorik wohl
auch für die ‚reine‘ Musik gelten müsse, da Hanslick „für ästhetische Untersu-
chungen einen streng objektbezogenen Wissenschaftsbegriff“ fordert, für das
Feld der Kritik aber „eine auch auf den Leser zugeschnittene Sprache zuläßt“,
womit diese angeblichen Widersprüche verschwänden.396 Obgleich Hanslick
durch diese antizipierende Einschränkung also eine drastische Diskrepanz von
theoretischer Musikästhetik und praktischer Musikkritik klären wollte, hatte
diese nachträgliche Rechtfertigung von figurativen Ausdrücken nicht über-
all gänzlich überzeugt. So war etwa Hanslicks Begründung für Kivy, der
im Jahr 1988 die „deep contradiction in his own work, between the theorist
who denies and the critic, who by his actions affirms the expressive charac-
ter of music“ betonte, keineswegs hinreichend.397 Kivy ließ zwar gelten, dass
Hanslicks Argument eine theoretische Inkonsistenz abgewendet hätte, glaubte
392 Für die philosophische Untermauerung von Hanslicks Metaphorik vergleiche prinzipi-
ell: Hanne Appelqvist, „On Music, Wine, and the Criteria of Understanding“, in NEJP
12/3 (2011), S. 18–35, hier S. 31–33.
393 Hanslick, Konzertsaal (wie Anm. 76), S. 94.
394 Hanslick, Moderne Oper 5 (wie Anm. 79), S. 149.
395 Hanslick erörtert mehrere Sonaten und macht nicht ganz klar, welche jeweils gemeint ist,
da er die „Violoncellsonate (op. 108)“ mit obigen Worten metaphorisch charakterisiert.
Op. 108 ist die dritte Sonate für Violine und Klavier (d-Moll). Er nennt davor aber die
zweite Sonate für Violine und Klavier (A-Dur, op. 100), die zweite Sonate für Cello und
Klavier (D-Dur, op. 99) sowie wenig später die „(dritte) Violin-Sonate in D-moll“, also
eben op. 108. Ob hier eine inkorrekte Opuszahl oder doch ein falsches Instrument vor-
liegt, ist aus der figurativen Beschreibung nicht wirklich ableitbar, hier aber auch nicht
weiter zentral. Siehe dazu auch: Susan Gillespie, „Eduard Hanslick: Brahms’s Newest
Instrumental Compositions (1889)“, in Walter Frisch, Brahms and His World, Princeton/
Oxford 1990, S. 145–150, hier S. 150.
396 Strauß, VMS Teil
2 (wie Anm.
22), S.
101. Vgl.: Grey, „Hanslick, Eduard“ (wie Anm.
166),
S. 830; Payzant, Sixteen Lectures (wie Anm. 12), S. 50; Nick Zangwill, „Against Emotion:
Hanslick Was Right About Music“, in BJA 44/1 (2004), S. 29–43, hier S. 42.
397 Peter Kivy, „Something I’ve Always Wanted to Know About Hanslick“, in JAC 46/3
(1988), S. 413–417, hier S. 417. Zur folgenden Darstellung vergleiche prinzipiell: Wilfing,
„Gefühl und Musik“ (wie Anm. 141), S. 43–45.
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Übersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Übersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Übersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423