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2.2. Legendenbildung: die emotionale Wendung Hanslicks
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jedoch eine „practical contradiction“ im scheinbar disparaten Verhalten Hans-
licks festzustellen:398
‚To put the thing directly, Hanslick is like a solipsist who can’t help writing
letters. He argues that music has no expressive qualities. But when he steps out
of the philosopher’s closet to face the music, he sings a different tune.‘ […] For
whereas in the little book [i.e. VMS], Hanslick, in the negative thesis, mounts
an elaborate series of arguments to the effect that, properly speaking, music can-
not be ‚happy‘ or ‚angry‘, ‚melancholy‘ of ‚yearning‘, or the like, he uses such
emotive descriptions of music liberally and apparently without qualms in his
musical criticism.399
Obwohl Hanslicks wirkungsreiche kognitivistische Emotionstheorie erst später
exakter erörtert wird (Kap. 5.2), muss hier eine wesentliche Qualifikation sei-
ner nuancierten Gefühlskritik akzentuiert werden, die klar macht, dass Kivys
Lesart auf der kategorialen Verwechslung von Hanslicks Textarten beruht,
die in der Hanslick-Forschung durchaus verbreitet ist. Hanslicks VMS-Trak-
tat vertrete nämlich vermeintlich dogmatisch, dass Emotionen, Gefühle und
Affekte weder Zweck noch Inhalt der musikalischen Komposition repräsentie-
ren: „Beide Sätze haben das Aehnliche, daß der eine genau so falsch ist, wie der
andere“ (VMS, S.Â
26). Diese These, dass Gefühl und Musik bei Hanslick in kei-
nerlei Beziehung stehen würden, findet sich oft bei älteren Kritiken, wird aber
auch durch neuere Autoren wiederholt eingebracht,400 wenn etwa Nick Zang-
will Hanslicks Argument folgendermaßen zusammenfasst: „Music, in itself,
has nothing to do with emotion.“401 Doch hatte schon Kossmaly behauptet,
dass Hanslick „der Musik jede Cooperation des Gefühls“ abspreche,402 wäh-
rend Stade annahm, dass Hanslick jede „Gefühlserregung durch das Tonwerk
[…] nicht gelten lassen will“,403 und Lotze gleichfalls unterstellte, dass ‚reine‘
398 Siehe dazu etwa auch: Stefan Zwinggi, Musik als affektive Selbstverständigung. Eine integra-
tive Untersuchung über musikalische Expressivität, Freiburg/München 2016, S. 39.
399 Peter Kivy, New Essays on Musical Understanding, Oxford 2001, S. 40. Er hat die ersten
Sätze gemäß seiner Analyse „Know About Hanslick“ (wie Anm. 397), S. 416, zitiert.
400 Für mehrere markante Beispiele vgl.: Philip Alperson, „On Musical Improvisation“, in
JAC 43/1 (1984), S. 17–29, hier S. 17; Edward A. Lippman, A History of Western Musical
Aesthetics, Lincoln/London 1992, S. 299; Lars-Olof Åhlberg, „Susanne Langer on Repre-
sentation and Emotion in Music“, in BJA 34/1 (1994), S. 69–80, hier S. 75; Noël Carroll
und Margaret Moore, „Not Reconciled: Comments for Peter Kivy“, in JAC 65/3 (2007),
S. 318–322, hier S. 318; Dodd, Works of Music (wie Anm. 374), S. 264.
401 Zangwill, „Against Emotion“ (wie Anm. 396), S. 29.
402 Carl Kossmaly, „Zur Verständigung über einige Fragen der musikalischen Aesthetik“, in
Neue Berliner Musikzeitung 14/8 (1860), S. 57–58, hier S. 57.
403 Friedrich Stade, Vom Musikalisch-Schönen. Mit Bezug auf Dr. Eduard Hanslick’s gleichnamige
Schrift, Dissertation Universität Freiburg 1869, S. 24f.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Title
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Subtitle
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Author
- Alexander Wilfing
- Publisher
- Hollitzer Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Size
- 16.0 x 24.0 cm
- Pages
- 434
- Keywords
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Category
- Biographien
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423