Page - 104 - in Re-Reading Hanslick's Aesheticts - Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
Image of the Page - 104 -
Text of the Page - 104 -
2. These und Exkurs: Hanslicks Methodik – Ästhetik versus Kritik
104
That sachen für ästhetische Principien legen wir Verwahrung ein“ (VMS,
S. 37). Diese Maxime, die in der zitierten Erklärung mündete, dass „der letzte
Werth des Schönen immer auf unmittelbarer Evidenz des Gefühls“ basiere,
belegt die nuancierte Disposition von Hanslicks Musikbild, das mit seinem äs-
thetischen Objektivismus nicht ident ist. Periphere Hinweise, dass Hanslicks
VMS-Traktat die emotionale Musikwirkung nirgends bestritten habe, kön-
nen bereits in älterer Literatur genügend gefunden werden,412 doch sind hieraus
niemals die erläuterten Resultate für das intrikate Verhältnis von Kritik und
Ästhetik bei Hanslick gezogen worden. Also lese ich Hanslicks VMS-Traktat
als theoretische Grundlegung einer speziellen Perspektive auf die musikalische
Komposition, nicht als deren ontologische Bestimmung, die von anderen legi-
timen Aspekten der akademischen Musikforschung sorgfältig getrennt wurde,
welche differente Kontexte beleuchten und somit keinen direkten Gegensatz
zu seinen ästhetischen Überlegungen implizieren. Die scheinbar disparaten
Methoden Hanslicks, die sich also nicht praktisch aufheben, sondern vielmehr
ergänzen und fraglos parallel laufen können, werden somit durch einen je spe-
zifischen Blickwinkel auf die musikalische Komposition untermauert. Da ein
bestimmtes Musikstück also nach rein ästhetischen Eigenschaften ‚objektiv‘
analysiert oder unter einer völlig anderen Perspektive – z.B. im Hinblick auf
die emotionale Auswirkung – erörtert werden kann, sind Hanslicks vermeint-
lich unverträgliche Ansatzpunkte durchaus vereinbar.413
Hanslick kann also bei der stringent objektiven Ausrichtung (‚Ästhetik‘)
eine notwendige Verbindung von Gefühl und Musik generell bestreiten, ohne
eine emotionale Beschreibung von seinen Kritiken grundsätzlich auszuschlie-
ßen, da die jeweilige Perspektive auf den betroffenen Gegenstand essentiell dif-
feriert. Kivys Schluss, der den von ihm konstatierten ‚Widerspruch‘ von theo-
retischer Voraussetzung und praktischer Ausführung in Hanslicks Tätigkeit
adäquat erklären möchte, trifft somit nicht zu: „Each time Hanslick confronts
a piece of real music, outside the philosopher’s closet, he becomes aware by
412 Ludwig Bischoff, „Eduard Hanslick“, in Niederrheinische Musikzeitung 3 (1855), S. 49–53,
57–60, 65–66 und 73–75, hier S. 58; Wallaschek, Tonkunst (wie Anm. 100), S. 141; Hugo
Goldschmidt, Die Musikästhetik des 18. Jahrhunderts und ihre Beziehungen zu seinem Kunst-
schaffen, Zürich/Leipzig 1915, S. 13; Ernst Bücken, Geist und Form im musikalischen Kunst-
werk, Potsdam 1929, S. 34; Blume, „Hanslick, Eduard“ (wie Anm. 168), Sp. 1491.
413 Newcomb betont hierzu: „Even Hanslick […] only proposed the elevation of internal syn-
tactical or structural relations to a primary position. He did not presume to apply this
position in the individual instance, as a piece of practical criticism.“ Newcomb, „Those
Images That Yet Fresh Images Beget“, in JM 2/3 (1983), S. 227–245, hier S. 231. Zu diver-
genten vorstellbaren Perspektiven auf die musikalische Komposition vergleiche einfüh-
rend: Theodore Gracyk, „Evaluating Music“, in Gracyk/Kania, Philosophy and Music (wie
Anm. 155), S. 165–175.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Title
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Subtitle
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Author
- Alexander Wilfing
- Publisher
- Hollitzer Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Size
- 16.0 x 24.0 cm
- Pages
- 434
- Keywords
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Category
- Biographien
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423