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2. These und Exkurs: Hanslicks Methodik – Ästhetik versus Kritik
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wieder Anlass für fundamentale Fehldeutungen. Hanslick betont bereits in der
ersten Auflage, dass immer jeweils eigene ästhetische Parameter für Architek-
tur, Dichtung, Musik etc. eruiert werden müssen, die nicht durch „ein bloßes
Anpassen des allgemeinen Schönheitsbegriffs“ erschließbar seien, „weil dieser
in jeder Kunst eine Reihe neuer Unterschiede eingeht. Es muß jede Kunst in
ihren technischen Bestimmungen gekannt, will aus sich selbst begriffen und
beurtheilt sein“ (VMS, S. 22). Damit wurde einer ‚idealistischen Systemästhe-
tik‘ konsequent widersprochen und ein puristischer Standpunkt befürwortet,
der in der ‚österreichischen‘ Theoriebildung durchaus verbreitet war.425 Schu-
manns Aphorismus „Die Aesthetik der einen Kunst ist die der andern; nur das
Material ist verschieden“,426 wird seit der sechsten Auflage (1881) als negati-
ves Beispiel angeführt (VMS, S. 23). Wenn also etwa ein anonymer Rezensent
bemängelte, dass Hanslicks VMS-Traktat in differenten Kunstsparten höchst
prekäre Resultate zeitige, weil man am „gotischen Dom […] nicht blos die
Kunst, sondern auch das Heilige, dem sie zum Ausdruck dient“, achten würde,
geht dies an Hanslicks Argument schlicht vorbei.427 Auch August Wilhelm
Ambros hat die für ihn gegebene Absurdität von Hanslicks Argument, das
ästhetische Wertigkeit nur aus musikalischen Eigenschaften folgern möchte,
mit ähnlichen Einwänden kritisiert: „das heißt mit andern Worten, die Wir-
kung eines Gedichtes aus der grammatikalischen und syntaktischen Sprach-
richtigkeit, der Reinheit der Reime, dem rhythmischen Fall des Versmaßes
und dem elementaren Wohlklang einer Sprache“ abzuleiten.428 Noch Hermann
Kretzschmar übersah vollends, dass Hanslicks VMS-Traktat eine musikali-
sche Definition von Schönheit konstituierte, die auf andere Künste keineswegs
übertragen werden konnte, sondern nur für die musikalische Komposition gel-
ten sollte. Hanslicks Gedanke der Identität von Inhalt und Form wird dann
auch entsprechend beanstandet: „Die Unhaltbarkeit der Behauptung ergibt
sich schon durch den Versuch sie auf andere Künste zu übertragen. Da bestünde
425 Landerer, „Wiener Denkstil“ (wie Anm. 15), S. 98–103.
426 Robert Schumann, Gesammelte Schriften über Musik und Musiker, hrsg. von Gerd Nauhaus,
Wiesbaden 1985, Bd. 1, S. 43.
427 „Ueber Musik. Vom Musikalisch-Schönen. Ein Beitrag zur Revision der Aesthetik der
Tonkunst. Von Dr. Eduard Hanslick“, in Wolfgang Menzels Literaturblatt 33 (1855), S. 129–
132, hier S. 131. Siehe dazu auch die implizite Antwort Hanslicks, der die affektive Wir-
kung der einzelnen Kunstarten ebenfalls behandelt (VMS, S. 30).
428 August Wilhelm Ambros, Die Gränzen der Musik und Poesie. Eine Studie zur Aesthetik der
Tonkunst, Prag 1856, S. 46. Siehe hier auch Moriz Carrière, Ästhetik. Die Idee des Schönen
und ihre Verwirklichung durch Natur, Geist und Kunst, Leipzig 1859, Bd. 2, S. 324f., wo
Ambros’ Gedanke affirmativ angeführt wird. Vgl.: Alexander Wilfing, „Spezialästhetik,
Grenzziehung, Methodologie – Eduard Hanslick und August Wilhelm Ambros im ‚öster-
reichischen‘ Ästhetikdiskurs um 1850“ (i.Dr.).
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Title
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Subtitle
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Author
- Alexander Wilfing
- Publisher
- Hollitzer Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Size
- 16.0 x 24.0 cm
- Pages
- 434
- Keywords
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Category
- Biographien
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423