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2. These und Exkurs: Hanslicks Methodik – Ästhetik versus Kritik
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habe.445 Dass Hanslicks VMS-Traktat aber eine derartige Auffassung nirgends
bekundet, wird bereits dadurch deutlich, dass eine normative Hierarchie als
„unwissenschaftlich“ charakterisiert wird, weil hier „meist flache Willkür
[ab der vierten Auflage: ,dilettantische Einseitigkeit‘] das Wort führt“ (VMS,
S. 52). Die Rede von der „reine[n] absolute[n] Tonkunst“ (VMS, S. 52), auf
der die referierte Beurteilung von Hanslicks Argument primär gründet, ist
aber kein wertendes Kriterium, sondern lediglich stringente methodologische
Differenzierung. Die vermeintliche Bevorzugung von ‚reiner‘ Musik muss
also aus der prinzipiellen Orientierung der objektiven Ästhetik abgeleitet und
als systematisch notwendig begriffen werden: „Wenn irgend eine allgemeine
Bestimmtheit der Musik untersucht wird, etwas so ihr Wesen und ihre Natur
kennzeichnen, ihre Gränzen und Richtung feststellen soll, so kann nur von der
Instrumentalmusik die Rede sein“ (VMS, S. 52).446
Ob Hanslick deshalb zwischen (absoluter) ‚Tonkunst‘ und dem Begriff
‚Musik‘ kategorisch unterschied, wie Abegg vorsichtig vermutete,447 oder
Hanslicks VMS-Traktat nach Seidel keine allgemeine Musikästhetik, sondern
vielmehr „eine Ästhetik des Tonkunstwerks“ sei,448 ist für die verhandelte Pro-
blematik weniger zentral als die logische Funktion von Hanslicks Argument.
Und diese impliziert keinerlei hierarchische Privilegierung von ‚reiner‘ Musik,
sondern lediglich eine sorgfältige Bewertung der ‚rein musikalischen Eigen-
schaften‘, die für ihn aus gemischten Gattungen nicht bruchlos gefolgert wer-
den können. Die Idee der ‚absoluten Tonkunst‘, die die einstmalige Identifika-
tion ‚Musik = vokale Musik‘ mit dem 18. Jahrhundert nach und nach ablöst,
machte somit die theoretische Abgrenzung von nunmehr ‚externen‘ Para-
metern (Text, Programm, Dekoration) opportun, insofern man die beson-
dere Disposition von ‚reiner‘ Musik faktisch eruieren wollte. Wie Mark Evan
Bonds unlängst erörterte: „At no point did Hanslick ever assert the aesthetic
superiority of purely instrumental music: he even conceded that the union of
music and poetry ‚extends the power of music‘, but he insisted that this union
445 Für einige weitere rezente Beispiele siehe auch noch: Yoshida, „Musical Culture“ (wie
Anm. 39), S. 189; Beard/Gloag, Musicology (wie Anm. 247), S. 57; Cha, „Aesthetic Theo-
ries“ (wie Anm. 58), S. 388; Fodor, „Eduard Hanslick“ (wie Anm. 228), S. 34; Ward,
„‚Absolute‘ Philosophy?“ (wie Anm. 180), S. 339f.
446 Zur intrikaten Differenz von Autonomie / Heteronomie und Instrumentalmusik / Pro-
grammmusik / Vokalmusik siehe vor allem: Carl Dahlhaus, Klassische und Romantische
Musikästhetik, Laaber 1988, S.Â
298–310. Vgl.: Vera Micznik, „The Absolute Limitations of
Programmatic Music: The Case of Liszt’s ‚Die Ideale‘“, in ML 80/2 (1999), S. 207–240;
Goehr, Imaginary Museum (wie Anm. 374), S. 211–218; Gregory Karl und Jenefer Robin-
son, „Yet Again: ‚Between Absolute and Programme Music‘“, in BJA 55/1 (2015), S.Â
19–37.
447 Abegg, Eduard Hanslick (wie Anm. 41), S. 24.
448 Wilhelm Seidel, Werk und Werkbegriff in der Musikgeschichte, Darmstadt 1987, S. 19.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Title
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Subtitle
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Author
- Alexander Wilfing
- Publisher
- Hollitzer Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Size
- 16.0 x 24.0 cm
- Pages
- 434
- Keywords
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Category
- Biographien
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423