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3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption
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einordnet, besonders anschaulich: „I find it difficult to believe that Gurney
was unfamiliar with his predecessor’s ideas. Gurney’s own characterization of
musical structure, ‚ideal motion‘ [siehe unten], is hard not to hear as an echo of
Hanslick’s ‚tonally moving forms‘.“640 Bevor solche textlichen Parallelen erör-
tert werden können, ist aber eine Verbindung zwischen diesen beiden Autoren
zwingend abzuklären, die man trotz Kivys These nicht schlicht setzen kann,
sondern historisch einsichtig machen müsste. Insofern Gurney neben Her-
bert Spencer und Charles Darwin auch eine Ãœbersetzung der Tonempfindun-
gen von Helmholtz als theoretischen Ausgangspunkt seiner Analyse benutzt,641
der Hanslicks VMS-Traktat positiv erwähnt (Kap. 1.5),642 ist eine historische
Beziehung durchaus möglich. Wichtiger scheint jedoch erneut Poles Studie
(1879), die auf Helmholtz’ Abhandlung direkt basiert und von Gurney – so
E. D. MacKerness – demgemäß konsultiert wurde.643 MacKerness’ Vermutung
scheint jedoch insofern spekulativ, als Gurney im Vorwort hierzu schrieb: „Dr.
Pole’s ‚Philosophy of Music‘ came out too late for me to consult it, and I do not
know how far his ground coincides with mine.“644 Poles Buch, das auf ästhe-
tischen Vorlesungen aus dem Jahr 1877 beruht, könnte jedoch trotzdem Hans-
licks VMS-Traktat – der dort über längere Absätze zitiert wurde (Kap. 3.1)
– mit Gurneys Konzept koppeln. Da für Gurneys Lektüre aber keine direkten
Nachweise erbracht werden können und dieser selbst betont: „I have not read
any of the German systems of aesthetics, general or musical“,645 müssen all-
fällige Parallelen dennoch skeptisch betrachtet werden.646
Beide Texte weisen mehrere thematische Kongruenzen auf, die schwer-
lich ignoriert werden können, auch wenn diese nicht als das Resultat einer
Lektüre, sondern vielmehr als das „logical outcome of any autonomist aes-
thetics“ begriffen werden sollten.647 Mit dem Stichwort ‚Autonomie‘ hat Bujić
hier auch gleich einen essentiellen Gleichklang zwischen Hanslick und Gur-
ney berührt: Nach Gurneys Konzept ist die musikalische Komposition eine
organische Gesamtheit, die wesentlich präsentativ, keineswegs repräsentativ sei
640 Kivy, Introduction to Philosophy (wie Anm. 356), S. 63. Vgl.: Steven G. Smith, „How to
Expand Musical Formalism“, in JAE 49/2 (2015), S. 20–38, hier S. 24.
641 Gurney, Power of Sound (wie Anm. 634), S. VI.
642 Hermann von Helmholtz, On the Sensations of Tone as a Physiological Basis for the Theory of
Music, übers. von Alexander J. Ellis, London 1875, S. 2.
643 E. D. MacKerness, „Edmund Gurney and ‚The Power of Sound‘“, in ML 37/4 (1956),
S. 356–367, hier S. 359.
644 Gurney, Power of Sound (wie Anm. 634), S. VI.
645 Ebda., S. VI. Siehe aber auch: ebda., S. 178–201.
646 Sharpe, Philosophy Introduction (wie Anm. 444), S. 25. Vgl.: Jean G. Harrell, „Issues of
Music Aesthetics“, in JAC 23/2 (1964), S. 197–206, hier S. 202.
647 Bujić, „Year 1885“ (wie Anm. 635), S. 146.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Title
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Subtitle
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Author
- Alexander Wilfing
- Publisher
- Hollitzer Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Size
- 16.0 x 24.0 cm
- Pages
- 434
- Keywords
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Category
- Biographien
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423