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3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption
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Eine noch wesentlich deutlichere Entsprechung, die über eine allgemeine
Popularität des organischen Musikdenkens hinausgeht, findet sich bei den
vorstehend erwähnten Begriffen Gurneys. Wenn dieser ‚material‘ als ‚system
of notes‘ fasst, liest man bei Hanslick: „Das Material, aus dem der Tondichter
schafft […] sind die gesammten Töne, mit der in ihnen ruhenden Möglichkeit
zu verschiedener Melodie, Harmonie und Rhythmisirung“ (VMS, S. 74). Die-
ses Material sowie seine geistreiche Verwendung unterliegen hierbei keiner ‚ex-
ternen‘ Funktion und bekunden keinerlei „reference to the world outside“:654
„Eine vollständig zur Erscheinung gebrachte musikalische Idee […] ist bereits
selbstständiges Schöne, ist Selbstzweck und keineswegs erst wieder Mittel oder
Material der Darstellung von Gefühlen und Gedanken“ (VMS, S.Â
75). Gurneys
Ästhetik und Hanslicks VMS-Traktat reflektieren die historische Entwick-
lung des musikalischen ‚Materialstands‘ sowie dessen vorstellbare Wandlungen
(Kap. 2.1), wobei aber eine zukünftige Veränderung des westlichen Tonsys-
tems bei Hanslick wesentlich plausibler scheint als bei dem ‚englischen Nach-
folger‘:655 „This material had a slow development, but has long been constant,
and can hardly but remain so, except in so far as the invention of new instru-
ments may add to its colours.“656 Zwar wird hier Gurneys Klärung des musika-
lischen Formbegriffs als „abstract proportions of time and pitch“ den ‚tönend
bewegten Formen‘ Hanslicks, die Inhalt und ‚Form‘ als unteilbar erachten,657
nicht vollauf gerecht, kann aber als verwandte Definition gefasst werden, wel-
che konkrete Tonfolgen, nicht abstrakte Schemata benennt. Auch Gurneys
Definition des künstlerischen Gegenstandes als „auditory forms, i.e. series
and combinations of sounds“ mit der Fokussierung auf das Hauptthema lässt
Hanslicks Argument anklingen, das verschiedene Bedeutungen dieses vagen
Begriffs (z.B. Stoff, Sujet, Inhalt) konzise erörtert: „Die Musik besteht nur aus
Tonreihen, Tonformen, diese haben keinen anderen Inhalt als sich selbst […],
denn die Musik spricht nicht blos durch Töne, sie spricht auch nur Töne“ (VMS,
S. 162). Gurneys Plädoyer für die immanente Bestimmung aller musikalischen
654 Gurney, Power of Sound (wie Anm. 634), S. 152f.
655 „Jedes der Intervalle, die jetzt unserer Harmonie dienstbar sind, mußte einzeln gewon-
nen werden, und oft reichte ein Jahrhundert nicht hin für solch kleine Errungenschaft.
[…] Aus diesem Proceß ergibt sich, daß auch unser Tonsystem im Zeitverlauf neue Berei-
cherungen und Veränderungen erfahren wird.“ VMS, S. 147 und 150.
656 Gurney, Power of Sound (wie Anm. 634), S. 55. Vgl.: ebda., S. 231f.
657 „Wo nicht eine Form von einem Inhalt dem Denken trennbar erscheint, da existirt auch
kein selbstständiger Inhalt. In der Musik aber sehen wir Inhalt und Form, Stoff und
Gestaltung, Bild und Idee in dunkler, untrennbarer Einheit verschmolzen. […] Bei der
Tonkunst giebt es keinen Inhalt gegenüber der Form, weil sie keine Form hat außerhalb
dem Inhalt.“ VMS, S. 165.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Title
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Subtitle
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Author
- Alexander Wilfing
- Publisher
- Hollitzer Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Size
- 16.0 x 24.0 cm
- Pages
- 434
- Keywords
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Category
- Biographien
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423