Page - 180 - in Re-Reading Hanslick's Aesheticts - Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
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4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte, Vertreter
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weiterhin vertreten, was auch eine entsprechende Klassifizierung von Hans-
licks VMS-Traktat beförderte, welche jedoch andere Wurzeln haben dürfte
als ihr ‚deutsches‘ Gegenbild. Wenn Wagners Theorie des Gesamtkunstwerks
und die sie umgebenden Kontroversen für die deutschsprachige Ästhetikdis-
kussion neuerlich relevant scheinen, ist – wie nun genauer erläutert wird – die
angloamerikanische Formalismusdebatte aus philosophischen Fragestellungen
hervorgegangen, die eng mit der Kant’schen Urteilskritik (Kap. 4.1) und dem
englischen Kunstkritiker Bell (Kap. 4.2) verbunden sind.
Es sei jedoch bereits eingangs angemerkt, dass die oft kritische Auslegung
Hanslicks als rigoroser Formalist in diesen beiden Sprachräumen durchaus
geläufig ist, jedoch niemals allgemein akzeptiert wurde. Diese schwankende
Einordnung kann durch zwei kurze Beispiele aus dem 20. Jahrhundert deutlich
gemacht werden: Denn wenn etwa Maecklenburg die „formalistische Niede-
rung“ Hanslicks im Jahr 1915 kritisch beäugte,856 meinte Misch nur wenig spä-
ter: Wer Hanslicks VMS-Traktat „für eine ‚Formal-Aesthetik‘ anspricht, der hat
Hanslicks Ideen gründlichst mißverstanden“.857 Zwei vergleichbar anschauliche
Fallbeispiele aus den letzten Jahren zeigen zudem, dass diese konträren Positio-
nen weiterhin bestehen, was die beträchtliche Inkonsistenz der jeweiligen Hans-
lick-Lesarten hinreichend verdeutlicht. Maecklenburgs Interpretation teilend,
betont ebenso Valk die „formalästhetischen Reduktionismen“ von Hanslicks
Argument,858 während Werner Keil davon spricht, dass Hanslick „der seiner
Intention nicht gerecht werdende Vorwurf des Formalismus gemacht wurde“.859
Wenngleich die Bewertung Hanslicks als mehr oder weniger radikaler ‚Forma-
list‘ im deutschen Sprachraum sicherlich dominiert,860 wird doch auch klar, dass
kein völliger Konsens hinsichtlich der vorwiegend normativen Fragestellung
zu Hanslicks Hypothese erzielt worden ist (Kap. 4.3). Eine ähnliche Diagnose
gilt auch für den englischen Sprachraum, wo Hanslicks VMS-Traktat ebenfalls
856 Albert Maecklenburg, „Die Musikanschauung Kants“, in Mus 14/1 (1914–1915), S. 207–
218, hier S. 216.
857 Ludwig Misch, „Eduard Hanslick“, in AMz 52 (1925), S. 737–739, hier S. 739.
858 Thorsten Valk, Literarische Musikästhetik. Eine Diskursgeschichte von 1800 bis 1950, Frankfurt
2008, S. 25.
859 Keil, Basistexte Musikästhetik (wie Anm. 422), S. 229.
860 Siehe hierzu neuere Beispiele seit etwa 1980: Henneberg, Musikalisches Kunstwerk (wie
Anm.Â
107), S.Â
54f.; Karl Gustav Fellerer, Studien zur Musik des 19.Â
Jahrhunderts, Regensburg
1984, Bd. 1, S. 166; Evelin E. Klein, Einführung in die Ästhetik. Eine philosophische Collage,
Wien 1987, S. 86; Martin Huber, Text und Musik. Musikalische Zeichen im narrativen und
ideologischen Funktionszusammenhang, Frankfurt u.a. 1992, S. 25; Kutschera, Ästhetik (wie
Anm.Â
724), S.Â
478; Einfalt/Wolfzettel, „Autonomie“ (wie Anm.Â
598), S.Â
433; Pia-Elisabeth
Leuschner, Orphic Song with Daedal Harmony. Die ‚Musik‘ in Texten der englischen und deut-
schen Romantik, Würzburg 2000, S. 30.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Title
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Subtitle
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Author
- Alexander Wilfing
- Publisher
- Hollitzer Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Size
- 16.0 x 24.0 cm
- Pages
- 434
- Keywords
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Category
- Biographien
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423