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4.2. Hanslick als Feindbild: Bell, Schenker und die ‚New Musicology‘
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Perspektive des Bell’schen Konzepts neben seinem zirkulären Argument die
eigentlich unhaltbare Konsequenz.1015 Denn wenn auch eine Parallele zu Hans-
licks Trennung des emotionalen Musikeffekts von der objektiven Kunsttheorie
konstatiert werden könnte, bestehen trotzdem unterschiedliche Voraussetzun-
gen: Bei klassischen figürlichen Kunstwerken, die unzweifelhaft präsenta-
tiv beschaffen sind, muss Bells These schlicht radikal wirken, da er von der
gegebenen Darstellung auf ‚signifikante Formgebung‘ abstrahiert. Im Falle
von Musik müsste jedoch überhaupt bewiesen werden, dass hier repräsentierte
(Gefühls-)Elemente gegenwärtig sind – was man durchaus vertreten kann, aber
trotz allem nicht vorweg evident ist1016 –, die Hanslicks VMS-Traktat schein-
bar verleugnet. Wenn Bells Lehre die körperliche Darstellung gegenüber der
signifikanten Strukturierung für durchweg irrelevant erklärt, findet sich aber
bei Hanslick ein ausdrückliches Zugeständnis an die traditionelle Tonmalerei,
der zwar keine große ästhetische Wertigkeit zuerkannt, die aber auch nicht
gänzlich nivelliert wird:
Mit lehrsamer Wohlweisheit wird uns bei der Frage von der ‚Tonmalerei‘ im-
mer wieder versichert: die Musik könne keineswegs die außer ihrem Bereich
liegende Erscheinung selbst malen, sondern nur das Gefühl, welches dadurch in
uns erzeugt wird. Gerade umgekehrt. Die Musik kann nur die äußere Erschei-
nung nachzuahmen trachten, niemals aber das durch sie bewirkte specifische
Fühlen. Das Fallen der Schneeflocken, das Flattern der Vögel, den Aufgang der
Sonne kann ich nur so musikalisch malen, daß ich analoge, diesen Phänomenen
dynamisch verwandte Gehörseindrücke hervorbringe. In Höhe, Stärke, Schnel-
ligkeit, Rhythmus der Töne bietet sich dem Ohr eine Figur, deren Eindruck jene
Analogie mit der bestimmten Gesichtswahrnehmung hat, welche Sinnesemp-
findungen verschiedener Gattung gegen einander erreichen können (VMS,
S. 61).1017
1015 Susan L. Feagin, „Fry Bell“ (wie Anm. 996), S. 113.
1016 Kivy, Introduction to Philosophy (wie Anm.Â
356), S.Â
259. Die umfassende analytische Diskus-
sion über musikalische Repräsentation wird hier nicht genauer erörtert. Für mehrere
zentrale Arbeiten zu diesem lebhaft erörterten Themenfeld vergleiche aber etwa: ders.,
Sound and Semblance (wie Anm. 594); Davies, Musical Meaning (wie Anm. 450), S. 79–121;
Ridley, Philosophy (wie Anm.Â
444), S.Â
47–69; Jenefer Robinson, „Music as a Representati-
onal Art“, in Alperson, What is Music (wie Anm. 638), S. 165–192; Kendall L. Walton,
„Listening With Imagination: Is Music Representational?“, in JAC 52/1 (1994), S. 47–61.
Siehe hierbei primär J. O. Urmson, „Representation in Music“, in RIPL 6 (1972), S. 132–
146 und Roger Scruton, „Representation in Music“, in PH 51 (1976), S. 273–287, die die
modernere Diskussion angestoßen haben.
1017 Hanslick gilt trotz allem meist als der „unnachgiebige Gegner des Repräsentationalis-
mus“: Roy Sorensen, „Das Chinesische Musikzimmer“, in DZP 59/1 (2011), S.Â
61–63, hier
S. 61. Siehe dazu aber auch: Kivy, Sound and Semblance (wie Anm. 594), S. 144f.; Davies,
Musical Meaning (wie Anm. 450), S. 210; Alperson, „Formalism and Beyond“ (wie
Anm. 351), S. 259.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Title
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Subtitle
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Author
- Alexander Wilfing
- Publisher
- Hollitzer Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Size
- 16.0 x 24.0 cm
- Pages
- 434
- Keywords
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Category
- Biographien
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Übersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Übersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Übersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423