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4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte, Vertreter
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Wenn hier noch ein marginaler Widerspruch dieser beiden Autoren berührt
worden ist, finden sich aber auch wirklich eklatante Gegensätze, die den äs-
thetischen ‚Formalismus‘ von Hanslick und Bell als mindestens genauso dispa-
rat ausweisen, wie den Vergleich von Hanslick und Kant. Das betrifft primär
die subjektive Perspektive von Bell, die das zentrale Kriterium seiner ästheti-
schen Abhandlung repräsentiert: „any system of aesthetics which pretends to
be based on some objective truth is so palpably ridiculous as not to be worth
discussing.“1018 Wenn dieser polemische Standpunkt auch noch als methodisch
motivierter Widerspruch zu den ‚absoluten Gesetzen‘ der traditionellen Kunst-
theorie gelesen werden könnte, zeigt Bells Art schon wenig später seinen durch-
gängig subjektiven Charakter: „All systems of aesthetics must be based on per-
sonal experience – that is to say, they must be subjective.“1019 Diese ‚personal
experience‘ ist hier aber nicht eine kognitive Fakultät im Sinne Kants, sondern
schlichtweg individuelle Wahrnehmung, die mit der objektiven Konzeption
von Hanslicks VMS-Traktat keinesfalls kompatibel ist.1020 Bell will zwar die
signifikante Strukturierung, die für ihn Teil des künstlerischen Gegenstandes
ist, als ein objektives Kriterium etablieren, musste jedoch insofern scheitern,
als sie an die ‚aesthetic emotion‘ sowie deren subjektive Prämissen gebunden
bleibt. Dieser prekäre Ansatz soll dadurch gemildert werden, dass eine rezep-
tive Erkenntnis der ‚aesthetic emotion‘ als elementare Bedingung der ästheti-
schen Beurteilung vorgeschrieben wird, die nur für „sensitive people“ gegeben
sei.1021 Nach Bell sind also jene Individuen, die repräsentative Eigenschaften
als essentiellen Bestandteil der bildenden Künste betrachten und damit seiner
theoretischen Ausrichtung widersprechen, schlicht „vulgar“.1022 Dass hier eine
‚petitio principii‘ vorliegt, die Bells These vorweg immun machen soll, sie aber
auch wissenschaftlich unfalsifizierbar (also letztendlich unbrauchbar) macht,
scheint evident. Dazu Morris Weitz: „Such a standard cannot allow for any
real dispute over the presence or lack of significant form, since there is nothing
to dispute about. One either has the state or one has not.“1023
Dieses Faktum hinderte mehrere Autoren nicht, diese offensichtlich
exklusorische Argumentation unverändert einzusetzen, wobei diese heute
meist zur Kritik ‚der‘ formalen Ästhetik dient: Jene Hörer, die keine emo-
tionalen Musik effekte wahrnehmen, sind etwa nach Davies für ein spezifi-
1018 Bell, Art (wie Anm. 1004), S. 13.
1019 Ebda., S. 14.
1020 Fisher, Reflecting on Art (wie Anm. 410), S. 255.
1021 Bell, Art (wie Anm. 1004), S. 12.
1022 Ebda., S. 12.
1023 Weitz, Philosophy (wie Anm. 559), S. 33.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Title
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Subtitle
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Author
- Alexander Wilfing
- Publisher
- Hollitzer Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Size
- 16.0 x 24.0 cm
- Pages
- 434
- Keywords
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Category
- Biographien
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423