Page - 233 - in Re-Reading Hanslick's Aesheticts - Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
Image of the Page - 233 -
Text of the Page - 233 -
4.3. Hanslick, der Formalist: adäquate Kategorie oder leerer Begriff?
233
developed in a prescribed [!] form“.1155 Wenn dies auch eine ungewöhnliche
Auffassung repräsentiert, findet sich diese noch in Szabados’ Beiträgen zum
‚Formalismus‘ Wittgensteins, welche zeigen sollen, dass Hanslicks VMS-Trak-
tat von Wittgenstein eindeutig abgelehnt wurde. Szabados’ Bemerkung ist für
die erörterte Thematik insofern typisch, als er nur implizit definiert, was mit
dem musikalischen ‚Formalismus‘ außer einem vagen Bezug auf die ‚formal
structure‘ überhaupt bezeichnet sei. Erst Szabados’ Berufung auf die folgende
Passage von Wittgenstein macht Szabados’ Auslegung wirklich einsichtig:
„I can’t imagine that the old large forms (string quartet, symphony, oratorio
etc.) will be able to play any role [für die zukünftige musikalische Entwick-
lung]. If something comes it will have to be – I think – simple, transparent.
In a certain sense, naked.“ Denn Szabados erklärt weiter, dass Wittgensteins
Beanstandung der ‚old large forms‘ dessen „doubts about musical formalism“
bestätigen würde, „while the second goes on to repudiate it. The first not only
accents the contingency of musical forms and envisages different conceptions
of music, but by invoking transparency suggests that no hidden or concealed
form needs to be uncovered for musical understanding.“1156 Inwiefern Witt-
gensteins Erläuterungen hier aber Hanslicks Argument bestreiten, der genau
solche Punkte selbst betont, wird erst dann vollständig erkennbar, wenn man
die ‚tönend bewegten Formen‘ als musikalische Architektonik missversteht,
als Streichquartett, Symphonie, Oratorium etc. Dass Hanslicks Definition der
‚Form‘ dem musikalischen Schematismus keineswegs entsprochen hat, sie von
ihm somit nicht als „rigid system of immutable factors, but rather as a system
of changing relations“ bestimmt wurde, muss nicht erneut erörtert werden.1157
Mit der Fehldeutung von Hanslicks Terminus der ‚Form‘ als musikalische
‚Architektonik‘ ist dann auch der älteste Irrtum hinsichtlich seines angeblichen
Formalismus verbunden: „Hanslicks ‚Tonarabeske‘“, die Seidl als mathematische
Strukturierung des „Symmetrisch-, Architektonisch- und Plastisch- Schönen“1158
oder auch noch Gunter Scholtz als „klingende Mathematik“ auffasste.1159 Sams
hatte diese verkürzte Deutung durch seinen Grove-Eintrag nachhaltig befördert:
„Hanslick’s aesthetics enshrined the classical ideals of orderliness and formal
perfection. Even melody […] was admired less for its continuity of flow than
1155 Julius Portnoy, The Philosopher and Music: A Historical Outline, New York 1954, S. 175.
1156 Szabados, „Musical Formalism“ (wie Anm. 240), S. 651 und 654f.
1157 Bujić, European Thought (wie Anm. 155), S. 10. Vgl.: Redmann, Methodologie Musikanalyse
(wie Anm. 244), S. 19; Nattiez, „Hanslick: Immanence“ (wie Anm. 957), S. 106; Appel-
qvist, „Kantian Ethos“ (wie Anm. 381), S. 81.
1158 Seidl, Vom Musikalisch-Erhabenen (wie Anm. 14), S. 2.
1159 Gunter Scholtz, Schleiermachers Musikphilosophie, Göttingen 1981, S. 76.
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Übersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Übersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Übersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423