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4.3. Hanslick, der Formalist: adäquate Kategorie oder leerer Begriff?
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schen‘ Forschung hat sich eine derartige Diagnose zu Hanslick nicht nur aus
einer direkten Lektüre gespeist, sondern basierte vermehrt auf der allgemei-
nen Bestimmung ‚des‘ ästhetischen Formalismus, dem Hanslicks VMS-Traktat
umstandslos eingegliedert wurde. Władysław Tatarkiewicz hat die Eigenschaf-
ten des Formalismus etwa folgendermaßen zusammengefasst: „According to
extreme formalism, only form is important, or stated negatively, content does
not matter.“1184 Dies deckt sich auch mit der zuvor schon zitierten Definition in
Fishers Analyse, dass künstlerische Formgebung „the only relevant consider
ation“
für ‚die‘ formale Ästhetik sei,1185 was zwar etwa Bells Lehre adäquat einfängt,
auf Hanslicks Argument aber lediglich bedingt zutrifft (siehe unten). Das
greifbare Verlangen nach einer umfassenden Charakteristik ‚des‘ ästhetischen
Formalismus, das sich auch Hospers – „[t]he theory of art known as formalism
[…] says that form is all-important“1186, – Werhane – „[f]ormalism is often
interpreted to mean that an artwork’s most important features are its formal
characteristics“1187 – oder noch Beard und Gloag – „[t]he concept of formal-
ism signifies an aesthetic perspective that prioritizes formal detail above other
factors“1188 – eindeutig anmerken lässt, generiert notwendig undifferenzierte
Kategorieraster, die spezifische Standpunkte unter einem unscharfen Schlag-
wort summieren. Denn wenn für ‚den‘ ästhetischen Formalismus mehrere Bei-
spiele aus den verschiedenen Kunstsparten unterbreitet werden sollen, folgen
neben Bells Art geradezu notorisch Kants Kritik der Urteilskraft und Hanslicks
VMS-Traktat, der ein ideales Muster für den jeweils abstrakt bestimmten For-
malismus repräsentiere.
Bei Hanslick findet sich aber kein „Primat der ‚Form‘ vor dem ‚Inhalt‘“,1189
was die genannten Kritikpunkte großteils entkräftet, welche einem textfrem-
den Denkschema entstammen, bei dem diese Begriffe im Hinblick auf ‚reine‘
Musik als separate Bereiche gefasst werden, was Hanslicks Definition ihrer
Identität außer Acht lässt. Inhalt ohne Form ist für ihn ebenso wenig existent
wie Form ohne Inhalt, zumal beide Faktoren bei ‚reiner‘ Musik zu „untrenn-
barer Einheit verschmolzen“ sind (VMS, S. 165). Doch auch wenn diese defi-
nitorische Besonderheit absichtlich verworfen und Hanslicks Argument aus
externer Perspektive kritisiert wird, kann unmöglich behauptet werden, dass
1184 Władysław Tatarkiewicz, „Form in the History of Aesthetics“, in DHI 2 (1973), S. 216–
225, hier S. 221.
1185 Fisher, Reflecting on Art (wie Anm. 410), S. 250.
1186 Hospers, Understanding (wie Anm. 557), S. 114.
1187 Werhane, Issues in Art (wie Anm. 844), S. 100.
1188 Beard/Gloag, Musicology (wie Anm. 247), S. 65.
1189 Schirpenbach, Ästhetische Regulation (wie Anm. 421), S. 16. Siehe dann aber: ebda., S. 71
und 81.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Title
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Subtitle
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Author
- Alexander Wilfing
- Publisher
- Hollitzer Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Size
- 16.0 x 24.0 cm
- Pages
- 434
- Keywords
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Category
- Biographien
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423