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4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte, Vertreter
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hier eine ‚leere Form‘ und ein schlussendlich mathematischer Schematismus
bemüht worden ist. Zwar ist das Schöne der Musik „ein specifisch Musikali-
sches“, das, „unbedürftig eines von Außen her kommenden Inhaltes, einzig
in den Tönen und ihrer künstlerischen Verbindung liegt“ (VMS, S. 74), doch
wird dieses damit nicht gleich ‚leere Form‘. Wie Hanslick selbst einige Seiten
später explizit betont: „Der Begriff der ‚Form‘ findet in der Musik eine ganz
eigenthümliche Verwirklichung. Die Formen, welche sich aus Tönen bilden,
sind nicht leere, sondern erfüllte, nicht bloße Linienbegrenzung eines Vacu-
ums, sondern sich von innen heraus gestaltender Geist“ (VMS, S.Â
78). Der geis-
tige Gehalt, der Hanslicks Hypothese fortwährend abgesprochen wurde, ist
von ihm mitnichten eliminiert, sondern vielmehr als musikalisch immanent
gefasst worden: „Schöpfung eines denkenden und fühlenden Geistes hat dem-
nach eine musikalische Composition in hohem Grade die Fähigkeit selbst geist-
und gefühlvoll zu sein. Diesen geistigen Gehalt werden wir in jedem musika-
lischen Kunstwerk fordern, doch darf er in kein anderes Moment desselben
verlegt werden, als in die Tonbildungen selbst“ (VMS, S. 80). Wenn auch erst
weiter unten exakter gezeigt wird, dass sich Hanslicks ‚musikalisch immanen-
ter‘ Gefühlsgehalt von der gebräuchlichen Ausdruckstheorie und dem schon
knapp untersuchten Erregungsmodell grundlegend unterscheidet (Kap. 5.2
und Kap. 5.3), soll dies hier nochmals angezeigt werden: „Das Ideelle in der
Musik ist ein tonliches; nicht etwa begriffliches, welches erst in Töne zu über-
setzen wäre“ (VMS, S. 80).
Musik mit einer solch ideellen Substanz, die als immanente Eigenschaft der
musikalischen Komposition charakterisiert wird, ist bereits ‚schön‘, was erneut
belegt, dass ‚Schönheit‘ und ‚Geistigkeit‘ nach Hanslick niemals getrennt
begriffen werden können und ihm „nichts irriger“ schien, „als die Anschau-
ung, welche ‚schöne Musik‘ mit und ohne geistigen Gehalt“ unterteilt (VMS,
S. 81). Hanslick erlaubt ferner, dass rein affektive Termini – stolz, zärtlich,
beherzt, aber auch duftig, frostig, nebelhaft – für die figurative Schilderung
von geistigen Qualitäten benutzt werden können, solange sie als inhärente Ele-
mente ohne jede referentielle Beschaffenheit gelesen werden: „Derlei Epitheta
mag man im Bewußtsein ihrer Bildlichkeit brauchen, ja man kann ihrer nicht
entrathen, nur hüte man sich zu sagen: diese Musik schildert Stolz usf.“ (VMS,
S.Â
81). Was ‚Tonformen‘ jedoch letztlich qualitativ nuanciert, was einzelne ‚schö-
ner‘ als andre macht, reflektiert Hanslick lediglich unpräzise. Für ihn besteht
der Akt der musikalischen Komposition vor allem darin, aus den „ursprüng-
lichen Beziehungen der musikalischen Elemente und ihrer unzählbar mögli-
chen Combinationen“ die „verborgensten“ herauszufiltern, die „aus freister
Willkür erfunden und doch zugleich durch ein unsichtbar feines Band mit der
Nothwendigkeit verknüpft erscheinen. Solche Werke oder Einzelnheiten [sic]
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Title
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Subtitle
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Author
- Alexander Wilfing
- Publisher
- Hollitzer Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Size
- 16.0 x 24.0 cm
- Pages
- 434
- Keywords
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Category
- Biographien
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423