Page - 241 - in Re-Reading Hanslick's Aesheticts - Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
Image of the Page - 241 -
Text of the Page - 241 -
4.3. Hanslick, der Formalist: adäquate Kategorie oder leerer Begriff?
241
richtung der objektiven Musikästhetik zu, also wenn man die genannten Passa-
gen abwandelt: ‚from the viewpoint of aesthetic analysis, musical significance derives
primarily from internal compositional relationships‘ bzw. ‚Hanslick’s forma-
lism denies that emotions have anything to do with the objective aesthetic descrip-
tion of music‘ etc. Hanslicks Bekenntnis, dass auch für ihn „der letzte Werth des
Schönen“ auf der „Evidenz des Gefühls“ beruhe (VMS, S.Â
10), kann hier neuer-
lich angeführt werden, um zu belegen, wie die zitierten Lesarten seine ästheti-
sche Perspektive ignorieren und zum generellen Musikbegriff ausdehnen. Hans-
licks VMS-Traktat vertritt jedoch keine reduktive Ontologie von ‚reiner‘ Musik,
sondern vielmehr eine möglichst objektive Perspektive, welche andere Horizonte
der akademischen Musikforschung keinesfalls ausschließt,1205 sondern über-
haupt grundiert: „Dadurch, daß wir auf musikalische Schönheit dringen, haben
wir den geistigen Gehalt nicht ausgeschlossen, sondern ihn vielmehr bedingt“
(VMS, S. 77). Wenn Taruskin dies wohl auch niemals erkannte, ist Hanslicks
Argument mit dem skeptischen Ansatzpunkt der gegenwärtigen Musikwis-
senschaft folglich durchaus vereinbar: „aesthetic autonomy is not a property of
artworks, even the most abstract or transcendent of artworks, but rather a way
of viewing, describing, and valuating artworks.“1206
Die essentialistische Verabsolutierung von Hanslicks VMS-Traktat ist im
englischen Sprachraum aber auch von der langen Debatte über eine allgemeine
Bestimmung des Begriffs ‚Kunst‘ gestärkt worden, die man um das Jahr 1950 als
fruchtlose Bemühung einschätzte (Kap. 5.1).1207 Philosophen beurteilen ästhe-
tische Programme häufig gemäß der potentiellen Tauglichkeit als generelle
Definition von Kunst, die von Fall zu Fall als inadäquat verworfen wird.1208 So
1205 Wie Hanslick ausdrücklich konstatierte: „Es ist nicht lange her, seit man angefangen hat,
Kunstwerke im Zusammenhang mit den Ideen und Ereignissen der Zeit zu betrachten,
welche sie erzeugte. Dieser unleugbare Zusammenhang besteht auch für die Musik. Eine
Manifestation des menschlichen Geistes muß sie auch in Wechselbeziehung zu dessen
übrigen Thätigkeiten stehen: zu den gleichzeitigen Schöpfungen der dichtenden und bil-
denden Kunst, den poetischen, socialen, wissenschaftlichen Zuständen ihrer Zeit, endlich
den individuellen Erlebnissen und Ueberzeugungen des Autors.“ VMS, S. 92.
1206 Richard Taruskin, „Is There a Baby in the Bathwater?“, in AfMw 63/3–4 (2006), S. 163–
185, hier S.Â
171. Vgl.: Landerer/Zangwill, „Musical Essence“ (wie Anm.Â
228), S.Â
492. Siehe
dazu auch Parkhurst, „Making a Virtue“ (wie Anm. 777), S. 73–80, der bei Hanslick und
Schenker einzig einen „methodological“ Organizismus sah.
1207 Siehe hierzu primär: Lüdeking, Analytische Philosophie (wie Anm. 6), S. 17–93 und die
zentralen Arbeiten: Paul Ziff, „The Task of Defining a Work of Art“, in Philosophical
Review 62/1 (1953), S. 58–78; W. B. Gallie, „Art as an Essentially Contested Concept“, in
PQ 6 (1956), S. 97–114; Morris Weitz, „The Role of Theory in Aesthetics“, in JAC 15/1
(1956), S. 27–35; W. E. Kennick, „Does Traditional Aesthetics Rest on a Mistake?“, in
Mind 67 (1958), S. 317–334.
1208 Für den analytischen Kunstbegriff siehe vor allem Stephen Davies, Definitions of Art,
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Title
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Subtitle
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Author
- Alexander Wilfing
- Publisher
- Hollitzer Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Size
- 16.0 x 24.0 cm
- Pages
- 434
- Keywords
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Category
- Biographien
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423