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4.3. Hanslick, der Formalist: adäquate Kategorie oder leerer Begriff?
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form, the better the art work and the more aesthetic the experience of it.“1225
Reimers Polemik beurteilt folglich fast alle Hörer als „inherently incapable
of pure aesthetic enjoyment“,1226 was nur aus dem ‚intuitiven‘ Verständnis der
Form bei Bell logisch folgen würde. Denn ohne die restriktiven Bedingungen
von Bells Lehre ist das technische Verständnis des musikalischen Strukturver-
laufs eine erlernbare Expertise, die vom Hörer allemal erreicht werden könnte,
weshalb selbiger niemals ‚inherently incapable‘ ist.1227
Nach Reimers Definition ist ästhetischer Formalismus also eine „intellec-
tual exercise“, die „totally distinct from life“ wäre, sich auf „the internal qual-
ities of music and their inherent, unique meanings“ fokussiere sowie „other
factors, such as political opinions, references to particular people or events,
the use of various signs and symbols, suggestions of ideas, ordinary emotions
and so forth“ absichtlich ausblende, da sie für die ‚Bedeutung‘ des Kunstwerks
durchweg belanglos seien: „What really matters is the internal interplay of
sound-relations and the incomparable experience they can give.“1228 Neben
den von mir geäußerten Einwänden im Hinblick auf Gurney, Kant und Bell
(Kap. 3.4, 4.1 und 4.2) hat Bowmans Forschung dargelegt, dass derartig abs-
trakte Merkmale auf die gewöhnlich angeführten Exponenten ‚des‘ ästheti-
schen Formalismus lediglich bedingt passen. Bowmans Diagnose lautet dann
auch, dass ‚aesthetic formalism‘ oft ein „epithet of abuse“ sei:1229 „I think we
must conclude that formalism of the ‚absolute‘ variety (if by that we mean one
given to the purely intellectual contemplation of abstract forms) is principally
a fabrication of formalism’s detractors. The fact that a ‚pure‘ musical forma-
lism of this type is untenable means little if no one espouses it.“1230 Bei der
zitierten Äußerung Kutscheras müsste folglich gefragt werden, ob es wirklich
sinnvoll ist, gegen einen ästhetischen Standpunkt anzuschreiben, von dem völ-
lig unklar ist, „wer [ihn] vertreten hat, ja ob [ihn] überhaupt irgend jemand
vertreten hat“,1231 da dies eher eine ideologische Donquixoterie, keine ernste
Analyse ‚der‘ formalen Kunstlehre ausmacht. Auch Andy Hamilton wies hier
auf die begriffliche Ambivalenz ‚des‘ ästhetischen Formalismus hin, der ein
assoziatives Konglomerat von ästhetischen Standpunkten ohne jede tragfähige
Definition bezeichne, die enge, weite, normative, deskriptive, ontologische
Unterklassen etc. als essentiell identisch bestimme: „like many philosophical
1225 Ebda., S. 22.
1226 Ebda., S. 22.
1227 Bowman, Philosophical Perspectives (wie Anm. 678), S. 149.
1228 Reimer, Music Education (wie Anm. 1223), S. 23. Vgl.: ebda., S. 41f.
1229 Bowman, Philosophical Perspectives (wie Anm. 678), S. 194.
1230 Bowman, „Musical ‚Formalism‘“ (wie Anm. 410), S. 53.
1231 Kutschera, Ästhetik (wie Anm. 724), S. 176.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Title
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Subtitle
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Author
- Alexander Wilfing
- Publisher
- Hollitzer Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Size
- 16.0 x 24.0 cm
- Pages
- 434
- Keywords
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Category
- Biographien
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423