Page - 275 - in Re-Reading Hanslick's Aesheticts - Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
Image of the Page - 275 -
Text of the Page - 275 -
5.2. Musik, Gefühl, Gedanke – das kognitivistische Emotionskonzept
275
genden Elementen bestanden:1397 aus dem konkreten Sachverhalt sowie seiner
subjektiven Bewertung, aus der direkten Reaktion (Unlust/Lust) und aus dem
resultierenden Handlungsanlass.1398 Um ein berühmtes Fallbeispiel anzufüh-
ren, das Kivy mehrfach verwendet:1399 Wenn ich mich über Onkel Charlie är-
gere, da er beim Kartenspiel ständig betrügt, ist der Zorn intentional ausge-
richtet und weist einen bestimmten Gegenstand auf – Onkel Charlie.1400 Damit
Charlies Agieren mich jedoch wütend macht, muss zusätzlich eine komplexe
Beziehung von kognitiven Parametern erfüllt werden. Ich muss etwa spezifi-
sche moralische Ansichten haben, welche Charlies Handeln als unrechtes Be-
nehmen beurteilen, ich muss ferner glauben, dass Charlie mit Absicht handelt,
dieser sich also nicht einzig geirrt hat etc. Der Grad der verspürten Empörung
wird auch von der persönlichen Vorgeschichte des betreffenden Individuums
determiniert. Wenn ich beim getürkten Pokerspiel mein gesamtes Vermögen
verloren habe oder Charlie mich bereits früher ungerecht behandelt hat, kann
meine Entrüstung durchaus drastisch ausfallen.1401 Wenn sich aber zeigt, dass
Charlie nicht bewusst betrügt, er also eine falsche Karte irrtümlich ausgespielt
hat und ich die gesamte Situation somit anders bewerte, wird sich auch die är-
gerliche Erregung auflösen, die nun ohne ihre intentionale Fundierung verrau-
chen muss. Wie Budd für die kognitive Maßgabe des aristotelischen Theorie-
modells ähnlich festhält: „One feature of these definitions is that each emotion
is defined in such a way as to involve a particular kind of thought: it has this
thought as a constituent.“1402
Eine gegenteilige Konzeption von Emotionen, die sukzessive reaktiviert
wird, ist die ‚James-Lange-Theorie‘, die die physiologischen Grundkonditionen
1397 Zu Aristoteles’ Gefühlstheorie vergleiche prinzipiell: Elizabeth S. Belfiore, Tragic Plea-
sures: Aristotle on Plot and Emotion, Princeton/Oxford 1992.
1398 Aaron Ridley, „Emotion and Feeling“, in PAS 71 (1997), S. 163–176, hier S. 170–172;
Robert C. Solomon, „Philosophy“, in Encyclopedia of Human Emotions, hrsg. von David
Levinson, James J. Ponzetti und Peter F. Jorgensen, New York 1999, Bd. 1, S. 509–514,
hier S.Â
513; John Deigh, „Concepts of Emotions in Modern Philosophy and Psychology“,
in The Oxford Handbook of Philosophy of Emotion, hrsg. von Peter Goldie, Oxford/New
York 2010, S. 17–40, hier S. 26.
1399 Peter Kivy, „How Music Moves“, in Alperson, What is Music (wie Anm. 638), S. 147–163,
hier S. 151; Music Alone (wie Anm. 414), Kap. 8; „Feeling the Emotions“ (wie Anm. 1375),
S.Â
4; New Essays (wie Anm.Â
399), S.Â
133–138; Introduction to Philosophy (wie Anm.Â
356), S.Â
125.
1400 Seit Franz Brentano wird dies der ‚intentionale‘ Gegenstand des mentalen Zustands
genannt. Vgl.: Beardsley, Aesthetics (wie Anm. 382), S. 367; Wilkinson, „Art, Emotion,
Expression“ (wie Anm.Â
1027), S.Â
216; Kivy, „Feeling the Emotions“ (wie Anm.Â
1375), S.Â
3.
1401 Zur Rolle der subjektiven Disposition und der persönlichen Lebenshistorie siehe etwa
auch: Amélie O. Rorty, „Explaining Emotions“, in JoP 75 (1978), S. 139–161.
1402 Budd, Music and Emotions (wie Anm. 663), S. 4. Vgl.: Ridley, Music, Value, Passions (wie
Anm. 1077), S. 20.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Title
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Subtitle
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Author
- Alexander Wilfing
- Publisher
- Hollitzer Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Size
- 16.0 x 24.0 cm
- Pages
- 434
- Keywords
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Category
- Biographien
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423