Page - 281 - in Re-Reading Hanslick's Aesheticts - Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
Image of the Page - 281 -
Text of the Page - 281 -
5.2. Musik, Gefühl, Gedanke – das kognitivistische Emotionskonzept
281
ist, die ein solches Gefühl überhaupt generieren: Die Sehnsucht ist auf den spe-
zifischen Gegenstand ausgerichtet oder schlechthin inexistent. Es ist von emi-
nenter Bedeutung, dass hier eine ‚richtige‘ Emotion, keine völlig beliebige affek-
tive Erregung gemeint ist. Denn wenn etwa Huron die „startle response“1433 und
Juslin die Ruhe, das Interesse, die Aufregung als „emotions“ anführen,1434 wird
klar, dass hier eben keine ‚wirklichen‘ Emotionen, sondern affektive Zustände
oder ungerichtete Stimmungen beschrieben werden. Auch Robinson behauptet
noch, dass Musik das Gefühl ohne alle „cognitive mediation“ ansprechen könne,
wobei sie jedoch ebenso verfehlte Beispiele vorlegte – „Music can make me feel
tense or relaxed; it can disturb, unsettle, and startle me; it can calm me down or
excite me“1435 –, was die Verbreitung dieses Arguments verdeutlicht.1436 Nuss-
baum merkte hierzu erneut an: „an emotional state requires an intentional object
in order to be an emotional state.“1437
Damit scheint aber auch Brendels ‚Gefühl an sich‘ höchst prekär, für das
Schopenhauers Gefühlskonzept relativ sicher Pate stand, das auf die Annahme
rekurriert, dass ‚reine‘ Musik „nie die Erscheinung, sondern allein das innere
Wesen, das An-sich aller Erscheinung“ künstlerisch repräsentiere und sie nie
einzelne Gefühle, sondern vielmehr „die Freude, die Betrübnis, den Schmerz
[…] in abstracto“ ausdrücke, „das Wesentliche derselben ohne alles Beiwerk
also auch ohne die Motive dazu“.1438 Wenn auch nicht datiert werden kann,
wann Hanslick die Schopenhauer’sche Willensmetaphysik, deren breite Rezep-
tion mit den Jahren 1851–1853 einsetzte,1439 wirklich studierte und ein Zitat
erst Ende 1870 belegt werden kann,1440 wurde Schopenhauer trotzdem indirekt
1433 Huron, „Aesthetics“ (wie Anm. 468), S. 154.
1434 Patrik N. Juslin, „Music and Emotion: Seven Questions, Seven Answers“, in Music and the
Mind: Essays in Honour of John Sloboda, hrsg. von Irène Deliège und Jane W. Davidson,
Oxford/New York 2011, S. 113–135, hier S. 116; Patrik N. Juslin u.a., „How Does Music
Evoke Emotions? Exploring the Underlying Mechanisms“, in Juslin/Sloboda, Music and
Emotion (wie Anm. 1394), S. 605–642, hier S. 609.
1435 Jenefer Robinson, „The Expression and Arousal of Emotion in Music“, in JAC 52/1 (1994),
S. 13–22, hier S. 18.
1436 Für eine ähnliche Unschärfe vgl.: Donald Callen, „Transfiguring Emotions in Music“, in
The Worlds of Art and the World, hrsg. von Joseph Margolis, Amsterdam 1984, S.Â
69–91, hier
S. 80; Jerrold Levinson, „Emotion in Response to Art: A Survey of the Terrain“, in
Hjort/Laver, Emotion and Arts (wie Anm. 544), S. 20–34, hier S. 22.
1437 Nussbaum, Representation (wie Anm. 1406), S. 202.
1438 Arthur Schopenhauer, Sämtliche Werke, hrsg. von Wolfgang Freiherr von Löhneysen,
Frankfurt 1986, Bd. 1, §52, S. 364.
1439 Arthur Hübscher, „Schopenhauer bei Wagners Zeitgenossen“, in SJB 61 (1980), S. 61–69,
hier S. 61; Martin Gregor-Dellin, „Schopenhauer und die Musiker nach ihm“, in SJB 64
(1983), S. 51–60; Klein, Musikphilosophie (wie Anm. 64), S. 199.
1440 Eduard Hanslick, „Zum Beethoven-Jubiläum“, in Neue Freie Presse (14.12.1870).
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Title
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Subtitle
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Author
- Alexander Wilfing
- Publisher
- Hollitzer Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Size
- 16.0 x 24.0 cm
- Pages
- 434
- Keywords
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Category
- Biographien
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423