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5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption
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„Many of the things that transmit emotion, or give intuitive expression to their
creator’s feelings, or display significant form, are not art works.“1511 Die Splitter
des Bechers, den ich aus Zorn werfe, die roten Rosen, die ich einem geliebten
Menschen übergebe, die schwarze Kleidung, die ich bei einem traurigen Ereig-
nis anhabe, können direkter Ausdruck der gegenwärtigen Affektsituation sein,
werden jedoch nicht als Kunstwerke klassifiziert.1512 Dieser Einwand, der von
analytischen Philosophen allgemein akzeptiert ist, findet sich auch bei Hanslick,
der musikalische Expressivität als umfassende Bestimmung der Künste verwirft,
da Freude und Trauer zwar auch durch ‚reine‘ Musik erweckt werden können,
aber beim „Gewinnst des großen Treffers“ und der Diagnose einer tödlichen
Krankheit ebenfalls eintreten: „So lange man Anstand nimmt, deshalb ein Lot-
terieloos den Symphonien, oder ein ärztliches Bülletin den Ouvertüren beizu-
zählen, so lange darf man auch factisch erzeugte Affecte nicht als eine ästhetische
Specialität der Tonkunst oder eines bestimmten Tonstücks behandeln“ (VMS,
S. 37).1513 Bei der Ausdrucks-Hypothese als Begründung von Expressivität muss
aber zuerst betont werden, dass dieses Modell schlechthin redundant ist: Es kann
wohl kaum ernsthaft vermutet werden, dass jeder Komponist im künstlerischen
Schaffensprozess von der affektiven Erregung geleitet worden war, die das voll-
endete Kunstwerk angeblich ausdrückt, womit dessen bewusste Tätigkeit nur
als „begeistertes Extemporiren“ aufzufassen wäre (VMS, S. 105).1514 Sobald man
hingegen einräumt, dass auch eine ‚trübsinnige‘ Tondichtung von einem gerade
beschwingten Komponisten geschrieben werden könnte, der wegen eines erteil-
ten Auftrags fröhlich aufgelegt ist, wird musikalische Expressivität zur Eigen-
schaft des Kunstwerks, was die Theorie der ‚expression‘ entbehrlich macht:
1511 Davies, „Definitions“ (wie Anm. 1109), S. 170.
1512 Es muss hier jedoch bedacht werden, dass mein erstes Beispiel eine spontane Handlung
darstellt, letztere dagegen auf sozialer Konvention beruhen. Siehe dazu auch: John
Benson, „Emotion and Expression“, in TPR 76/3 (1967), S. 335–357, wo die nuancierten
Abstufungen zwischen diversen Begriffen des Ausdrucks eingehend behandelt werden.
1513 Siehe dazu auch den Unterschied von ‚impressive‘ und ‚expressive‘ bei Gurney, der mit
Hanslicks Standpunkt kongruent ist (Kap. 3.4). Vgl.: Cooper/Margolis/Sartwell, Com-
panion Aesthetics (wie Anm.Â
886), S.Â
148; Davies, Musical Meaning (wie Anm.Â
450), S.Â
270f.;
R. A. Sharpe, Music and Humanism: An Essay in the Aesthetics of Music, Oxford/New York
2000, S. 55.
1514 Diese These ist für moderne Autoren generell überholt. Siehe hierzu diverse Arbeiten seit
etwa 1980: Kivy, Corded Shell (wie Anm. 673), S. 14f.; Stephen Davies, „The Expression
Theory Again“, in Theoria 52/3 (1986), S.Â
146–167, hier S.Â
148; Colin Radford, „Emotions
and Music: A Reply to the Cognitivists“, in JAC 47/1 (1989), S. 69–76, hier S. 71; Gold-
man, „Emotions“ (wie Anm. 1465), S. 60; Dickie, Analytic Approach (wie Anm. 959),
S. 121f.; Sharpe, Humanism (wie Anm. 1513), S. 7; Ridley, „Expression“ (wie Anm. 1508),
S.Â
219; Higgins, Universal Language (wie Anm.Â
389), S.Â
124; Kania, „Music“ (wie Anm.Â
450),
Kap. 3.1; Naar, „Art and Emotion“, in IEP, Kap. 3b.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Title
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Subtitle
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Author
- Alexander Wilfing
- Publisher
- Hollitzer Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Size
- 16.0 x 24.0 cm
- Pages
- 434
- Keywords
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Category
- Biographien
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423