Page - 297 - in Re-Reading Hanslick's Aesheticts - Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
Image of the Page - 297 -
Text of the Page - 297 -
5.2. Musik, Gefühl, Gedanke – das kognitivistische Emotionskonzept
297
sen hierbei oft auf Oets Kolk Bouwsma hin, der musikalische Expressivität als
objektive Qualität definiert und von der ‚arousal theory‘ folglich abgrenzt:
„the sadness is to the music rather like the redness to the apple, than it is like
the burp to the cider.“1528
Dieser Ansatz, der eher eine bewusste Persiflage der Erregungs-Hypothese
verkörpert, weil nur eine spezielle Variante der ‚arousal theory‘ tangiert wird,
kann mit dem zweiten Einwand aus Hanslicks VMS-Traktat ergänzt werden:
der, wie anglophone Philosophen formulieren, ‚heresy of the separable expe-
rience‘.1529 Die Crux der gängigen ‚arousal theory‘ besteht folglich darin, dass
musikalische Expressivität von der affektiven Affizierung des einzelnen Zu -
hörers abhängig gemacht wird, was musikalische Kunstwerke zur schlichten
Mediation von emotionalen Verfassungen machen könnte. Matravers will hier
wie Gurney (Kap. 3.4) gegen genau diesen Vorwurf vorgehen und modifiziert
demgemäß die eigene ‚arousal theory‘, sodass der freigesetzte Musikeffekt mit
dem Gehalt des Stücks nicht zwingend identisch sein muss: „As the arousal
theory distinguishes the emotion from the emotion attributed, it distinguishes
the emotion which the work arouses in us from the emotion that we attribute
to the work.“1530 Die Musik selbst bleibt indes rundweg ersetzbar, wie Hans-
lick bildhaft erläutert: „Das ästhetische Merkmal des geistigen Genusses geht
ihrem Hören ab, eine feine Cigarre, ein pikanter Leckerbissen, ein laues Bad
leistet ihnen unbewußt was eine Symphonie“ (VMS, S. 129). Wie dieser später
erneut betont, waltet hier auch eine prinzipielle Problematik von ‚kausalen
Theorien‘ vor, die adäquat erklären müssen, wie die musikalische Komposi-
tion neben jenen von ihr bewirkten Gefühlen ästhetisch wertvoll bleibt: Denn
wenn Musik nur als Werkzeug der Erregung gelte, höre sie auf „als Kunst zu
wirken“. Damit wäre auch egal, „welche Musik gemacht wird, wenn sie nur
den verlangten Grundcharakter hat. Wo aber Gleichgültigkeit gegen das Indi-
viduelle eintritt, da herrscht Klangwirkung, nicht Tonkunst“ (VMS, S. 141f.).
Schon Casey hatte diese wesenhafte Problematik der ‚arousal theory‘ erwähnt:
Weil hier eine „relative devaluation of the middle term [i.e. des künstlerischen
1528 Oets Kolk Bouwsma, „The Expression Theory of Art“, in Philosophical Analysis: A Collec-
tion of Essays, hrsg. von Max Black, Ithaca/New York 1950, S. 75–101, hier S. 100.
1529 Dieser Begriff ist von Budd, Music and Emotions (wie Anm. 663), S. 125, 143f. und 152,
geprägt worden. Für die analytische Benützung von Hanslicks Argument siehe hier
etwa: Ridley, Music, Value, Passions (wie Anm. 1077), S. 38–49; Scruton, Aesthetics (wie
Anm. 783), S. 145f.; Madell, Music and Emotion (wie Anm. 1465), S. 32, 57 und 99; Ridley,
„Expression“ (wie Anm. 1508), S. 212; Neill, „Art and Emotion“ (wie Anm. 996), S. 422;
Nussbaum, Representation (wie Anm. 1406), S. 190, 214 und 247f.; Matravers, „Arousal
Theories“ (wie Anm. 1524), S. 220f.
1530 Matravers, „Feelings and Emotions“ (wie Anm. 676), S. 328. Vgl.: ders., Art and Emotion
(wie Anm. 676), S. 145–164.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Title
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Subtitle
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Author
- Alexander Wilfing
- Publisher
- Hollitzer Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Size
- 16.0 x 24.0 cm
- Pages
- 434
- Keywords
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Category
- Biographien
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423