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5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption
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Nachdem dargelegt wurde, dass Hanslicks VMS-Traktat als streckenweise sys-
tematische Vorwegnahme des ‚enhanced formalism‘ gefasst werden kann, sol-
len einige generelle Probleme dieses modernen Konzepts behandelt werden,
welche zeigen, warum Hanslick die Kontur-Theorie nicht stringent verfolgte,
sondern selbige lediglich peripher andeutet. Die ersten beiden Punkte – Kivys
Frage des ‚musical arousal‘ und die der komplexen kognitiven Emotionen –
bleiben jedoch für Hanslicks Argument ohne gröbere Probleme, während der
tatsächliche Kritikpunkt von ihm selbst vorgebracht wurde und für ‚enhanced
formalists‘ gewiss heikel ist. Robinson hat mehrere Defizite der Kontur-Theo-
rie genannt und vorrangig bemängelt, dass dieser Ansatz nicht adäquat erklä-
ren könne, warum Hörer affektiv berührt werden: „We are not particularly
moved […] by the sad doggy faces of the St. Bernard and the basset hound.
Why, then, should we be moved by the sad appearance of music?“1616 Auf Da-
vies’ Ansatz, der die ‚musical contagion‘ anerkennt, die für ihn auf einer intu-
itiven ‚mirroring response‘ beruht (Kap. 5.2), trifft Robinsons Vorbehalt nicht
zu,1617 wenn auch für sie „the power of our emotional responses“ damit nicht
systematisch untermauert wird.1618 Ihre Kritik gilt aber sehr wohl für Kivy, der
die affektive Erregung durch ‚reine‘ Musik ursprünglich dementierte,1619 diese
dann aber als ein ihm nebulöses Phänomen zugestand, das als spezielle Hör-
weise legitim scheint, jedoch niemals universal vorwaltet.1620 Kivys These wird
von Davies folgendermaßen zusammengefasst: „Peter Kivy allows that music
tends (albeit weakly) to evoke in the listener the emotion it expresses, that this
tendency sometimes is carried through […] and that such a response need be
no less legitimate than the one he personally is inclined to experience, which
is a reaction of admiration or disappointment at the manner of the expressive
achievement.“1621 Weil Hanslick, der zumeist schlicht fehlerhaft verstanden
wird – für Davies hat Hanslick „emotional responses in favor of dispassionate
cognition“ durchweg abgelehnt1622 –, die Erzeugung von Emotionen niemals
leugnet, sondern allein deren szientifische Verwertbarkeit beargwöhnt, kann
auch Hanslick von Robinsons Einwänden rundweg entlastet werden, die erst
1616 Robinson, „Expression Theories“ (wie Anm. 1560), S. 203.
1617 Davies, „Emotion in Music“ (wie Anm. 1506), S. 80; „Philosophical Perspectives“ (wie
Anm. 1290), S. 188; „Hard Case“ (wie Anm. 1290), S. 186; „Emotions Expressed“ (wie
Anm. 1406), S. 35–38; Musical Essays (wie Anm. 1412), S. 47 und 64.
1618 Robinson, „Expression Theories“ (wie Anm. 1560), S. 204. Vgl.: dies., Deeper Reason (wie
Anm. 1283), S. 309f.
1619 Kivy, „How Music Moves“ (wie Anm. 1399); Music Alone (wie Anm. 414), Kap. 8; „Feel-
ing the Emotions“ (wie Anm. 1375); Introduction to Philosophy (wie Anm. 356), Kap. 7.
1620 Davies, „Auditor’s Emotions“ (wie Anm. 1537).
1621 Stephen Davies, „Kivy on Auditors’ Emotions“, in JAC 52/2 (1994), S.Â
235–236, hier S.Â
235.
1622 Davies, Musical Meaning (wie Anm. 450), S. 283. Vgl. Kap. 2.2.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Title
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Subtitle
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Author
- Alexander Wilfing
- Publisher
- Hollitzer Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Size
- 16.0 x 24.0 cm
- Pages
- 434
- Keywords
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Category
- Biographien
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423