Page - 320 - in Re-Reading Hanslick's Aesheticts - Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
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5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption
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Man kann demnach schließen, dass Hanslick die musikalische Expressivität als
potentielle immanente Eigenschaft von ‚reiner‘ Musik begriff, die über eine kon-
gruente dynamische Disposition von Gefühl und Musik möglich gemacht wird
und praktisch relevant ist, der bindenden Grundlage aber rundweg entbehrt, was
sie für die ästhetische Wissenschaft schließlich untauglich macht. Wie anhand
von Schwinds Gemälde zu Beethovens Chorfantasie op. 80 nochmals illustriert
wird: „wie der Maler Scenen und Gestalten aus den Tönen heraussieht, so legt
der Zuhörer Gefühle und Ereignisse hinein. Beides hat damit einen gewissen
Zusammenhang, aber keinen nothwendigen, und nur mit diesem haben es wis-
senschaftliche Gesetze zu thun“ (VMS, S. 89).
Hanslicks Bedenken hinsichtlich der zwingenden Objektivität des Bezugs
von Gefühl und Musik bauen somit auf parallelen Gedanken auf: 1. ist die
dynamische Komponente, die die assoziative Isomorphie überhaupt begrün-
det, keinesfalls ausreichend, um diesem Thema dieses Gefühl letztgültig beizu-
legen; 2. sei faktisch prüfbar, dass eine emotivistische Beschreibung von ein
und demselben Musikstück selbst unter bewanderten Musikhörern ungleich
ausfalle, was die als notwendig betrachtete Verbindung von Gefühl und Musik
prekär werden lässt. Da der ‚enhanced formalism‘ über eine perzipierte Ähn-
lichkeit funktioniert, welche durch Animations-Tendenzen überdies erreiche,
dass beim dynamischen Musikelement gerade mentale Prozesse als adäquate
Parallele erkannt werden, ist der erste Punkt überaus kritisch: „Music no more
resembles the expression of emotion than it does many other things: the waves
of the ocean, the rise and fall of the stock market.“1634 Wie Goodman hervor-
hob, ist dies eine fundamentale Schwierigkeit von Ansätzen, die perzeptive
Affinitäten beinhalten, denn „almost anything may stand for almost anything
else“,1635 was dann auch beim ‚enhanced formalism‘ bemängelt werden müsste:
„By leaning on the idea that we can hear tension, satisfaction, and relaxation in
sound, and so perceive a resemblance to aspects of our feeling, it assumes the
very matter it was supposed to explain.“1636 Hinzu kommt, dass zwischen men-
1634 Matravers, „Expression and Emotion“ (wie Anm. 1482), S. 357. Kennick, Readings in Aes-
thetics (wie Anm. 844), S. 251 und Åhlberg, „Emotion in Music“ (wie Anm. 400), S. 71,
haben dieses Problem bei Hanslick und Langer ebenso betont. Vgl.: Robinson, „Music
and Emotions“ (wie Anm. 1283), S. 397f.; Anthony Newcomb, „Sound and Feeling“, in
CI 10/4 (1984), S.
614–643, hier S.
618f.; Panaiotidi, „Gefühl und Illusion“ (wie Anm.
1541),
S. 70.
1635 Goodman, Languages (wie Anm. 1352), S. 5.
1636 Boghossian, „Music in Sound“ (wie Anm. 1460), S. 52. Vgl.: Budd, Music and Emotions
(wie Anm.
663), S.
34; Scruton, Aesthetics (wie Anm.
783), S.
147f.; Stecker, „Musical Emo-
tion“ (wie Anm. 1579), S. 274; Trivedi, „Property of Music“ (wie Anm. 1288), S. 412;
Appelqvist, „Music Wine“ (wie Anm. 392), S. 20; Levinson, „Hearability-as-expression“
(wie Anm. 1284), S. 103; Matravers, „Expression“ (wie Anm. 1482), S. 624.
Table of contents
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Übersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Übersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Übersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423