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1. Theoretische Überlegungen
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Position in der Gesellschaft ermöglicht. Die Beamten sind, wie erwähnt, unmit-
telbar zwischen Staat und Gesellschaft angesiedelt, an der Schnittstelle von Politik
und gesellschaftlicher Entwicklung. Genau diese Position macht das eigentliche
Spannende der Beamtengeschichte aus und gestaltet die Geschichte der Bürokra-
tie auch in der franzisko-josephinischen Epoche zu einem Drama.
Eliten gab es in allen Sparten der Verwaltung: in der Gemeinde-, Bezirks-, Lan-
des- und Zentralverwaltung. Es kam auf die einzelnen Individuen an, ob und wie
sie an der Macht in Staat und Gesellschaft interessiert waren und sich selbst in-
volvierten. Die Entscheidungsbefugnisse waren selbstverständlich in den höheren
und hohen Ebenen weitreichender als in den niederen.
Ohne näher auf die wichtigen sozialwissenschaftlichen Begriffe der Elitenfor-
schung eingehen zu wollen8 – auf das Beamtentum bezogen hatten sich die Eliten
selbstverständlich durch die traditionellen Beamtenqualitäten auszuzeichnen. Die
staatstheoretischen Überlegungen, wie ein idealer Beamter beschaffen zu sein habe,
reichen weit in die neuzeitliche Geschichte bis zu den Anti-Machiavelli-Schriften
zurück. Für Österreich spielten die Vorstellungen des Justus Lipsius, von dem noch
die Rede sein wird,9 eine besondere Rolle. Unter anderem sind korrekte Pflichter-
füllung, Gehorsamkeit und Loyalität selbstverständliche Tugenden. Wahre Elitebe-
amte verfügten über weitaus mehr: über visionäre und ethische Vorstellungen zu
Gesellschaft und Politik, vorausschauende Gestaltungskraft, Anpassungsfähigkeit
an den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Wandel der Zeit, so-
mit über einen außergewöhnlichen Charakter – im besten Fall gehören sie zu den
charismatischen Persönlichkeiten. Man wende nicht ein, dass es das innerhalb der
Bürokratie nicht gäbe. Es gibt sie heute, die Elitebeamten, und es gab sie damals,
ihre Leistungen werden allerdings jeweils von der Politik, der sie dienen, verdeckt,
genauso wie ihre nicht erbrachten Leistungen durch das System kaschiert werden.
Diesen beiden Phänomenen, den großen Erfolgen sowie auch den Defiziten, auf
die Spur zu kommen, stellte für mich eine reizvolle Aufgabe dar.
Eine lineare Fortschrittsgeschichte der Bürokratie und des Beamtentums gibt
es nicht. Die Veränderungen sind außerdem eine Erscheinung der longue durée
(Fernand Braudel). Sie sind gekennzeichnet von großen Schritten, auch Rück-
schritten, und kleinen Bewegungen. So wechselten Perioden der Reform mit sol-
8 Ich verweise auf die Auseinandersetzung mit dem wichtigen sozialwissenschaftlichen Begriff bei
GERNOT STIMMER, Eliten in Österreich, 1848–1970, 2 Bände (= Studien zu Politik und
Verwaltung 57/I und 57/II, Wien/Köln/Graz 1997) I, S. 16–52.
9 Siehe Kapitel „Widersprechende Loyalitäten“.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277