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1. Theoretische Überlegungen
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Die Zeit der Jahrhundertwende wurde durch ein weiteres einschneidendes Phä-
nomen gekennzeichnet: Eine neue Generation, die andere Vorstellungen vom Le-
ben hatte, übernahm die bürokratischen Institutionen. Erst in der Periode um die
Jahrhundertwende wurden diese kleineren sowie größeren politischen und sozialen
Akzentverschiebungen, die diesen Prozess des Wandels seit 1867 charakterisierten,
von der Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen. Man wurde – zum Teil verwun-
dert, zum Teil kritisch – gewahr, mit einer neuen Bürokratie, mit neuen Beamten
konfrontiert zu sein, ein Faktum, das bis zum Ersten Weltkrieg positiv und negativ
diskutiert wurde und das traditionelle Thema Verwaltungsreform wieder aufflam-
men ließ. Die Dienstpragmatik des Jahres 1914, in denen das Beamtendienstrecht
für Jahrzehnte festgelegt wurde, schloss diesen Prozess ab. Die in der Dienstprag-
matik klar und deutlich formulierten Pflichten und Rechte sollten Einfluss auf
die soziale Lage der Beamten nehmen. Die jeweiligen politischen Veränderungen
bedingten einen gravierenden sozialen Wandel der Position der Beamten in der
Gesellschaft und nahmen auf die kulturelle Gestaltung der Lebensformen im büro-
kratischen sowie im privaten Alltag starken Einfluss. Daraus ergab sich zwangsläu-
fig, die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben der Zeit in dieser Studie zu thema-
tisieren. Dieses Kapitel über das soziale Umfeld zeigt die bürokratischen Eliten als
Teil der bürgerlichen Gesellschaft der Monarchie mit ihrer sozialen Stellung, ihren
speziellen Gewohnheiten, in ihren familiären Zusammenhängen und mit ihren
Mentalitäten sowie ihrem gesellschaftlichen Bewusstsein.
Der Erste Weltkrieg und die Kriegsverwaltung veränderte die Problemstellung
gewaltig. Daher verlangt diese Periode eine eigene Studie.
Es stellt sich die Frage, ob dieses „Subsystem“ Bürokratie – im Sinne eines Jür-
gen Habermas – „verständnisorientiertes“, „kommunikatives Handeln“ in der
Gesellschaft ermöglichte und das allgemeine System „Lebenswelt“ (positiv) be-
einflusste.11 Diese grundlegende Frage nach den Möglichkeiten der Bürokratie,
gestaltend einzugreifen, soll sich als roter Faden durch die nachstehenden Ausfüh-
rungen ziehen.
11 JÜRGEN HABERMAS, Theorie des kommunikativen Handelns, 2 Bände (Frankfurt am Main
1988).
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277