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2. Die zwei Realitäten der Bürokratie
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mal wie bereits in den „Gehorsamen Rebellen“ das skurrile Moment festgehal-
ten, dass Beamte zwar beschriebene Papiere wie Sand am Meer produzieren, dass
aber die meisten zur Bildung ihrer Geschichte kaum taugen. Sie sagen über die
Staatsdiener selbst, ihre Bedeutung in der einen oder anderen Angelegenheit,
ihre Meinungen, nur wenig aus.
Den Beamten sei gedankt, dass sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
eine enge Beziehung zur (mehr oder weniger) schönen Literatur und Lyrik ent-
wickelten, daher selbst häufig schrieben, etwa Lebenserinnerungen produzierten,
die in Bibliotheken und öffentlichen Archiven sowie im Privatbesitz schlummern.
Jede Auswahl ist natürlich problematisch. Die im Privatbesitz befindlichen und
die unpublizierten Quellen hatten für meine Arbeit Vorrang, da sie unbekannt
sind. Die publizierten Memoiren zu verwenden versteht sich von selbst. Die in
den Archiven schlummernden Nachlässe von wichtigen Beamten – infrage kam in
erster Linie das Haus-, Hof- und Staatsarchiv sowie das Allgemeine Verwaltungs-
archiv in Wien sowie die Archive anderer Ministerien – wurden gesichtet und
teilweise für die Arbeit benützt. Dabei stellte es sich heraus, dass es beim Verfassen
der Memoiren genauso wie bei der Erledigung der Akten eine starke Tendenz zur
Standardisierung gibt. So wurde in den meisten Memoiren viel über Elternhaus,
Kindheit, Ausbildung und die großen Stationen der Karrieren erzählt. Liebe, Ehe-
leben und Familie, die, so hoffen wir, auch für Beamte einen wesentlichen Wert
in ihrem Leben darstellten, werden weitgehend ausgeblendet.12 Ebenso wenig be-
schrieben wird – außer in Ausnahmefällen, die aber meistens erst nach dem Ende
der Monarchie publiziert wurden – die eigentliche Amtstätigkeit. Die Kenntnisse
über die private Lebenswelt der Beamten verdanken wir eher den Aufzeichnun-
gen von Beamtenfrauen, die allerdings nur spärlich vorhanden sind. Die Beamten
schildern uns ihr mehr oder weniger buntes, ihr mehr oder weniger bedeutsames
Leben, alle in sehr ähnlicher Weise, sodass die aufmerksame Leserin/der aufmerk-
same Leser nach der Lektüre einer gewissen Anzahl von Lebenserinnerungen ei-
gentlich nicht mehr erfahren hat als das, was sich für einen Beamten in elitärer
Stellung der Nachwelt weiterzugeben schickte. Das Amtsgeheimnis, das sie über
den Tod hinaus verpflichtete und das sie offensichtlich internalisiert hatten, hielt
sie – so scheint es – davon ab, zu viel aus ihrem Behördenleben oder gar dezidierte
12 Diese Beobachtung machte auch Gerald Stourzh bei der Beurteilung der Aufzeichnung eines
seiner Beamten-Ahnen, GERALD STOURZH, „Aus der Mappe meines Urgroßvaters“: Eine
mährische Juristenlaufbahn im 19. Jahrhundert. In: GERALD STOURZH, Der Umfang der
österreichischen Geschichte. Ausgewählte Studien 1990–2010 (= Studien zu Politik und Verwal-
tung 99, Wien/Köln/Graz 2011), S. 126.
Josephinische Mandarine
Bürokratie und Beamte in Österreich
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Josephinische Mandarine
- Subtitle
- Bürokratie und Beamte in Österreich
- Author
- Waltraud Heindl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78950-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 336
- Keywords
- Bürokratie, Beamte, Österreich, Österreich-Ungarn, nationale und politische Identitäten, Loyalitäten, Alltagskultur, Frauen im Staatsdiens, Image
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 11
- I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung 17
- II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? 35
- III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment 45
- 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung 45
- 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg 47
- 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära 54
- 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung 60
- 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 66
- IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? 85
- 1. Wandel der politischen Strukturen 85
- 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme 87
- 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en 90
- 4. Parteipolitische Konfliktszenen 99
- 5. Nationale Illustrationen 106
- 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus 121
- 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 131
- 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst 147
- 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme 154
- 10. Generationenkonflikte um 1900 160
- V. Das soziale Umfeld 165
- VI. Inszenierungen 235
- VII. Josephinismus und Moderne um 1900 253
- VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes 277